„Sagt mir, Bernstein, wie geht es ihrem Gestüt bei Prey? Ich habe gehört, der Sommer soll heiß und trocken gewesen sein im Westen. Viel trockener noch als hier, beinah wüstengleich. Ich hoffe inständig auch ihre Pampashasenzucht hat es unbeschadet überstanden.“ Der Viscount nippte abwartend an seinem bis zum Rand gefüllten Glas Dom Pérignon, den Blick neugierig auf General Bernstein gerichtet, schien er sich ernsthaft für dessen Familiengeschäft zu interessieren.
„Nun, mein Freund, da haben Sie richtig gehört. So trocken habe ich die Länder im Westen noch nie erlebt.“ Auch der General genehmigte sich einen Schluck seines gekühlten Whiskys, bevor er weitersprach. „Doch glücklicherweise zog der Sturm ohne großes Trara an uns vorbei. Sonst wäre wohl das morgige Ereignis nicht möglich gewesen.“
„Ah ja, ich vergaß. Euer Gestüt stellt ja nicht nur die Pferde sondern auch die Beute für das Spiel. Ich selbst werde wohl auch eines der Euren reiten. Einen anmutigen Hengst. ‚Tochiro‘ so will ich meinen. Verzeiht meine Unüberlegtheit.“ Viscount Amethyst neigte, stattlich wie er war, aus Respekt für den deutlich älteren Grafen und führenden General, seinen Kopf.
„Ach mein Freund. Machen Sie sich nicht so viele Gedanken darum. Es ist schon löblich, dass Sie sich auf dem Laufenden halten.“ Der graue Schnurbart des Generals hüpfte unter seiner Nase hin und her und deutete schemenhaft dessen Lächeln an.
Im nächsten Moment, der Viscount hatte seinen Kopf soeben wieder erhoben, läutete im Inneren leise eine Glocke. Die beiden Herrschaften wandten die Köpfe und folgten interessiert einem ganz in weiß gekleideten Butler, der zu ihnen auf die große Terrasse trat und erneut das kleine silberne Glöckchen erklingen ließ.
„Werte Herrschaften, der König bittet Sie nun alle in der Bibliothek Platz zu nehmen.“ Der dünne Mann neigte tief den Kopf, machte folgend auf dem Absatz kehrt und wanderte grazil durch die große offene Flügeltür zurück ins Innere.
Zwei Damen, die in butterblumengelb gekleidet waren und so eben noch über die Weite der königlichen Ländereien geplaudert hatten, folgten ihm fächerflatternd wenige Sekunden später. Auch der Viscount tat einen enthusiastischen Schritt, doch hielt ihn der General mit einem festen Griff an den Unterarm zurück. Überrascht wandte Ersterer sich um.
„Mein Freund.“ Der General sprach nun weniger lebendig. In seine Stimme hatte sich eine gewisse Ernsthaftigkeit gelegt, in seine Augen Weisheit. „Ich hoffe für Sie, dass alles so kommt, wie Sie es sich wünschen. Ihr Vater war ein guter Mann. Er hat wie Sie stets nach Großem gestrebt.“ Der Blick des Älteren wanderte zur Tür und wieder zurück. „Lady Diamant ist eine umwerfende Frau, doch auch schwer zu erreichen, angesichts Ihrer seit der Geburt festgelegten Verlobung mit dem Grafen von Aquamarin. Doch …“ Er ließ den Unterarm des Viscounts vorsichtig los, „… ich glaube an Sie. Ich mag alt sein, aber auch ich verstehe etwas von junger Liebe, habe ich sie doch selbst erlebt.“ Die Augen des Generals wurden trüb und er schien für wenige Bruchstücke einer Sekunde in Erinnerungen abzugleiten, doch fasste er sich schlagartig wieder und richtete seinen Blick erneut auf den jungen, seit vielen Jahren mutterlosen, doch erst seit wenigen Wochen vaterlosen, Viscount Amethyst. „Maras sind ungemein schnell und listig. Ich hoffe wirklich, Ihr habt Euch etwas einfallen lassen.“ Und mit diesen Worten schritt General Bernstein zügig an dem Größeren vorbei, ließ ihn perplex und mit schwerem Herzen auf der alten Terrasse des Königpalasts in dem Wissen zurück, dass jener am morgigen Tag alles geben müsse, um sich seinen Traum, Lady Diamant zu ehelichen, zu erfüllen.
Eine roséfarbene Sonne hatte sich soeben am Horizont erhoben, als Lady Diamant, die gerade von ihrer Zofe in ein silberglänzendes Festkleid gehüllt worden war, neben ihrem Vater, dem König, auf den Balkon trat. Sogleich begann das Volk viele Meter unter ihren Füßen zu jubeln. Fahnen in allen Farben wurden geschwenkt, Blütenblätter segelten durch die angenehme Morgenluft. Doch die Prinzessin hatte dafür keinen Blick. Angestrengt ließ sie ihre Augen über die Masse hinaus auf das freie Feld schweifen, auf dem in wenigen Augenblicken neun junge Adlige um Ehre, Anstand, Titel und Geld spielen würden. Die alljährige Jagd, etwas anderes war diese Partie Pampashasenfangen im Grunde genommen nicht, sollte dieses Jahr ein noch größeres Spektakel werden, als die Jahre zuvor. Ihr Vater feierte gleichzeitig sein 20-jähriges Thronjubiläum und sie selbst sollte in wenigen Wochen den Grafen von Aquamarin ehelichen, einen hochnäsigen Schnösel, ohne Blick für das Schöne in der Welt. Doch auch dafür hatte Lady Diamant in diesem Augenblick keine Gedanken. Alles, was sie interessierte, war der Reiter in dunklem lila. Viscount Amethyst.
Aus der Entfernung sah er auf seinem schwarzen Hengst so klein aus wie ein Schmetterling, der, gerade erst aus seinem Kokon gekrochen, das erste mal die Flügel weitete. Er war so wunderschön anzusehen, so stattlich und doch so unglaublich unerreichbar. Lady Diamant musste alle Ruhe in sich aufwenden, um auf ihrem Thron neben dem König nicht wie eine Verrückte hin und her zu rutschen.
Im nächsten Moment erhob sich ihr Vater und trat an den Rand des Balkons. Wieder tobte die Menge, wieder schwenkten sie Fahnen und warfen Blütenblätter, wieder sah Lady Diamant zu dem Reiter in dunklem lila.
„Mein Volk.“ Der König breitete die Arme aus, die Masse zu seinen Füßen verstummte. „Mein liebes Volk! Wir haben uns heute hier versammelt, um sowohl das diesjährige Pampashasenfangen zu erleben, als auch mein 20-jähriges Thronjubiläum zu feiern.“ Die Masse begann erneut zu toben, Fahnen und Blütenblätter folgten. „Doch soll dieses Jahr auch die Liebe im Mittelpunkt stehen! Wer auch immer das diesjährige Spiel gewinnt, wird nicht nur Ruhm bis in alle Ewigkeit erlangen, sondern auch die Gelegenheit bekommen, eine persönliche Audienz bei mir und auch meiner Tochter, der Thronfolgerin, wahrnehmen zu können.“ Lady Diamant hatte bis dato nicht geglaubt, dass die Masse noch lauter hätte jubeln können, doch schien sie sich hörbar geirrt zu haben. Sie zuckte bei dem hallenden Lärm merklich zusammen. Nur unter aller größter Anstrengung gelang es ihr sich dabei aufrecht und zart zu bewegen.
Im nächsten Moment hob ihr Vater die Hände. „Und nun lasset das Spiel beginnen!“
Trompetenklänge, die vom Wind von allen Seiten an Lady Diamant herangetragen wurden, erfüllten die Sommerluft und sogleich tat sich etwas auf dem Spielfeld. Die Tore zur Burg wurden geschlossen und die Reiter stellten sich, nur mit einem Lasso und einem Kescher ausgestattet, auf ihre ausgelosten Plätze. Ein weiterer Trompetenreigen folgte und das Volk, welches bis dato in Jubel zu versinken schien, verstummte abrupt.
Der König machte eine ausführliche Handbewegung und bereits beim ersten Trommelschlag öffnete sich das Gatter am Rande der Burg und nur wenige Sekunden später sprang und tobte eine wildgewordene Herde Maras über das azurblaue abgegraste Feld. Lady Diamant konnte die Pampashasen aus der weiten Entfernung nur spärlich erkennen, doch reichte der Anblick der wilden Herde aus, um ihre innere Unruhe zu verstärken. Aufgeregt sah sie zu Viscount Amethyst, der, sobald ein weiterer Trommelschlag ertönt war, seinem schwarzen Hengst Tochiro die Sporen gab und zusammen mit den anderen Teilnehmern, ähnlich einer Schachfigur, aufs Spielfeld zog. Angst ergriff die junge Prinzessin, die sich im nächsten Moment nicht mehr auf ihrem harten Thron halten konnte und vor an die Mauer des Balkons sprang. Ihr Vater, ganz irritiert, wollte gerade schon etwas erwidern, da …
… traf mich ein Schlag, so fest, dass er durch meinen schlappen Körper fuhr wie ein Messerstich. Ein stöhnender Laut drang aus meiner Kehle und ich krampfte zusammen, ehe ich im Bett sitzend in meine verschwitzte Realität zurück fand. Es war dunkel. Durch die Spalten des kaputten Rollos drang nur spärlich das gelbliche Licht einer Straßenlaterne. Ich kniff die Augen zusammen, stützte mich auf die feuchte Matratze und suchte nach der einzigen Sache, die die Möglichkeit besaß mir so heftig mitten in der Nacht eine überzubraten: meine Freundin.
„Sag mal, was sollte denn das?“, flüsterte ich angespannt in ihre Richtung. Nach einigen Sekunden Bedenkzeit pikste ich mit meinem Zeigfinger in den Deckenturm neben mir. Ein dumpfes Stöhnen folgte, dann raschelte es.
„dohgfmmh kirhsht“
„Was?“
Sie trat hörbar die Bettdecke von sich und wiederholte mit einem äußerst unzufriedenen, heißeren Flüstern: „Du knirscht. Mit den Zähnen.“
Ich schluckte und zog, im vollen Wissen, dass sie es nicht sehen konnte, die Augenbrauen bis zum Haaransatz. „Äm. Okay? Ja … äh … ich hab echt Mist geträumt.“
„Mhhh.“ Sie hatte sich bereits wieder umgedreht und ihr Gesicht im Kissen vergraben.
„Richtig wilde Sachen“, murmelte ich.
„Erzähl es mir morgen, ja?“ Ich konnte sie kaum verstehen, doch gab ich mich, in Anbetracht der Tatsache, dass auch ich sehr müde war und unbedingt weiter schlafen wollte, ihrer Bitte ohne weiteres Zutun geschlagen und ließ mich langsam zurück ins Kissen fallen. Die Edelsteine konnte ich mir noch erklären, schließlich hatte ich die letzten Wochen damit verbracht, viele von ihnen im Mineralogischen Museum zu untersuchen. Aber Pampashasen? Keine Ahnung.
TiaBibra
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