Es krachte, Funken sprühten aus den Wänden. Sia’tha hielt sich an einer der Stangen an der Wand fest, presste sich so fest dagegen, wie sie konnte, während Teile im Raum herumschwebten.

»Getroffen!«, schrie jemand, was natürlich überflüssig war, da das jeder auf dem Raumschiff hatte spüren können.

»Geht der Antrieb noch?«, rief Sia’tha.

»Nein. Ausgefallen.«

Sia’tha schloss kurz die Augen. Dann war ihr Schicksal besiegelt. Ohne Antrieb war es unmöglich, den Angreifern zu entkommen. Sie trieben manövrierunfähig im Weltraum herum, wie der Weltraumschrott. Leicht zu entern.

»Fahren Sie die Energie herunter«, rief sie dem Kapitän des Raumschiffs zu. Nur wenige Sekunden später war es stockfinster. Auf dem gesamten Schiff war nun die Energie gekappt.

»Was machen wir nun?«, fragte jemand, dessen Stimme sie nicht sofort zuordnen konnte.

Sie seufzte. »Wir können nur hoffen, dass sie uns nicht für Weltraumschrott halten.«

Kaum hatte sie fertig gesprochen, rumpelte es erneut. Drei helle Töne, Metall, das auf Metall schlug. Jeder in der Raumfahrt kannte diese Geräusche und wusste, was sie bedeuteten.

Andockvorgang. Oder in ihrem Fall: Entervorgang.

»Sollen wir die Waffen holen?«, fragte der Kapitän. Er war schon alt für einen Raumfahrer, ganze fünfzig Jahre. In diesem Alter wagten sich nicht mehr viele in die Weiten und die Schwerelosigkeit.

»Das ist zwecklos.«

»Aber wir können uns doch nicht einfach …«

»Doch.«

Schweigen im Raum. Keiner wagte, ihr zu widersprechen. Diese Leute waren ihre Leute. Sie würden ihr in den Tod folgen.

Ein weiteres Geräusch ertönte. Wie ein Schleifen oder Kratzen. Die Angreifer schweißten gerade die Schiffshülle auf.

»Sind das Piraten?«, fragte eine junge Frau. Eine Navigatorin, die sie erst beim letzten Raumhafen aufgegabelt hatten. Als Ersatz für …

Sie schüttelte den Kopf, vertrieb die Gedanken, die ihr in den Sinn kamen.

»Wir müssen davon ausgehen«, sagte sie, möglichst laut und ohne Zittern in der Stimme. Dabei wollte sie gerade nichts lieber als wegzulaufen. Aber wohin denn auch? Der Weltraum war eben nicht die unendliche Weite, sondern eher ein enges Gefängnis.

»Wie lange, bis sie die Schiffshülle durchbrechen?«, fragte sie.

»Noch drei, höchsten vier Minuten«, antwortete der Kapitän.

Sia’tha schluckt, malte sich aus, wer auf dem anderen Schiff war. Piraten?

Sie ging in Gedanken den Angriff durch. Das feindliche Schiff war aus dem Nichts auf ihren Radarschirmen aufgetaucht. Sie hatten auf keinen der Funksprüche reagiert und auch keinen einzigen gesendet. Ein ungewöhnliches Vorgehen für Piraten.

Außer natürlich es waren keine. Jedes Kind wusste, dass es hier draußen noch viel gefährlichere Dinge gab als Piraten.

Ein Scheppern. Die Schiffshülle war so gut wie durchbrochen.

»Bleibt alle ruhig. Dann wird alles gut gehen«, sagte sie. Es fühlte sich mehr wie eine Erinnerung an sich selber an. Bleib ruhig, Sia’tha.

Ein weiteres Scheppern.

»Schiffshülle durchbrochen.« Der Kapitän flüsterte nur noch, so leise, dass sie ihn kaum verstehen konnte.

Einen Herzschlag herrschte wirkliche Totenstille. Jetzt verstand sie das Wort. Es ist die Stille, die sich einstellt, ganz kurz vor dem eigenen Tod. Und dem Tod ihrer Crew.

Sie werden uns nicht töten. Wir sind harmlos.

Sie wiederholte die Sätze, wie ein Mantra, das durch bloßes Wiederholen in Erfüllung gehen konnte.

Ihr Herz raste, sie blickte auf die Eingangsschleuse zur Brücke. Auf einem Planeten hätte man jetzt vielleicht Schritte hören können, hätte hören können, wie weit die Gegner weg waren, wie viele es waren, wie viel Zeit einem blieb.

Aber im Weltraum konnte man sich lautlos bewegen. Das war der Schrecken dieses Ortes. Dass man den Horror nicht hören konnte.

Die Sekunden dehnten sich aus, wurden zu Minuten, dann zischte die Schleuse.

Sie hielt den Atem an.

Die Schleuse öffnete sich.

Dahinter Schwärze.

Ein rasselnder Atem.

Ihre Finger klammerten sich stärker um die Stange, so stark, dass sie schmerzten. Aber sie konnte nicht loslassen.

»Ich bin gekommen, um euch zu befreien.«

Ein Mann schwebte in den Raum. Er trug die wohl seltsamsten Kleider, die sie jemals in ihrem Leben an einem Raumfahrer gesehen hatte. Ein schwarzes Kleid, das bis an das Ende seiner Füße hing. Es war mit Steinen versehen, die ein leichtes Leuchten absonderten. Und sein Gesicht. Eine Hälfte war völlig weiß, die andere völlig schwarz.

Aber die Augen.

Feuerrot. Sie loderten regelrecht.

Ihr Herz setzte aus, ihr wurde schwindelig, beinahe ließ sie die Stange los. Im letzten Moment schnappte sie nach Luft.

»Gotteshauch«, flüsterte eine Person.

Er war hier. Auf ihrem Schiff. Der Gotteshauch. Die meistgefürchtete Person der Galaxie.

»Ihr seid ungläubig. Ihr seid auf dem Weg zur Verdammung gewandelt. Aber euer Gott hat beschlossen, euch eure Sünden zu erlassen. Ihr werdet eine weitere Chance erhalten, euer Leben ihm zu widmen.«

Alles in ihrem Körper kreischte. Jede Faser schrie, sie drückte mit ihren Händen so fest an der Stange, dass sie Angst hatte, sie zu durchbrechen.

Der Blick des Gotteshauchs glitt über die Anwesenden. Jeden einzelnen in diesem Raum blickte er in die Augen. Dann starrte er Sia’tha an.

Wieder wurde ihr schwindelig. Sein Blick durchbohrte sie förmlich, seine Augen leuchteten auf. Sie wollten schreien, wollte fliehen, aber war wie gelähmt. Es hätte sowieso nichts gebracht.

Keiner entkam dem Gotteshauch.

Dann waren die Geschichten über ihn also wahr. Die Geschichten über die überfallenen Raumschiffe. Und über die verschwundenen Besatzungen.

»Euer Gott braucht eine Armee«, sprach der Gotteshauch weiter. »Ihr werdet ihm dienen oder ihr werdet in die Hölle verbannt.«

Er glitt zur Seite. Durch die Luke schwebten zehn Soldaten hinein, zumindest sahen sie so aus. Sie trugen Rüstungen, die leicht schimmerten. Sie sahen aus wie die Rüstungen aus den alten Tagen der Erde. Weiße Gewänder mit goldenen Verzierungen.

Die Soldaten packten sie und die anderen in dem Raum. Eine Fessel schnappte um ihr Handgelenk, sofort konnte sie die Kraft spüren, die die beiden Händen anzog und zusammenhielt.

Der Gotteshauch schwebte zurück durch die Schleuse, sie folgten ihm, jeweils geführt von einem Soldaten. Aber das war auch vollkommen unnötig, niemand bei Verstand würde auf die Idee kommen, sich gegen den Gotteshauch zu wehren.

Wenn er dich hat, wird er dich nie wieder loslassen. Dann ist dein Leben vorbei. Die Worte des Geschichtenerzählers auf einer der tausenden Raumstationen kamen ihr in Erinnerung.

Warum haben uns nur keine Piraten gekriegt? Ich wäre lieber gestorben.

Fortsetzung folgt.

Teil 2 von 8

niklasatw