Das Konzept der Notwendigkeit des Bösen hat in der Literatur, Philosophie und Religion eine lange Tradition. Häufig trifft man dabei auf die Idee, dass das Böse, das Übel, notwendig ist, um das Gute zu schätzen und zu fördern. Andererseits sind die Schäden, die durch boshaftes Handeln entstehen, enorm und die Frage, inwiefern die Notwendigkeit davon überhaupt gegeben war bei den Opfern auf und stellt eine enorme Herausforderung für die psychische und physische Gesundheit der Menschen da. In diesem Essay wird die Notwendigkeit des Bösen dementsprechend behandelt, indem das Konzept anhand der Literatur, Philosophie und religiöser Glaubenslehre näher beleuchtet wird.

Schon in der Bibel wurde die Frage nach der Notwendigkeit des Bösen in der Hiobs Geschichte aufgegriffen. Im „Buch des Hiob“ aus dem Alten Testament verfällt Hiob, ein reicher, gerechter und gläubiger Mann, dem Unglück. Denn der Teufel behauptet, dass Hiob seine Frömmigkeit verlieren würde, wenn er nicht durch Gottes Segen ein komfortables Leben führen könnte. Gott und der Teufel gehen die Wette ein, dass Hiob, trotz allem Unglück, welches der Teufel ihm aufbringt, seinen Glauben an Gott nicht verlieren wird. Daraufhin verliert Hiob alles: sein Vieh, sein Geld, seine Gesundheit und sein Haus und er verlässt sein Heimatdorf. Während der Geschichte sagt ihm seine Frau, dass er Gott absagen soll und seine Freunde meinen, er hätte sein Unglück verdient, da er gesündigt haben müsse, um das zu verdienen. Hiob jedoch bleibt standhaft in seinem Glauben und bekommt zum Ende der Parabel alles, was er zu Beginn besessen hatte, doppelt zurück. Dennoch bestand durchweg die Frage, worin der Sinn in seinem Leiden liegt. Hiob war vor Gottes Prüfung gläubig und blieb es danach auch.
Des Weiteren ist Boshaftigkeit ein gängiges Thema im Bezug zwischen Mensch und Tier. In „Moby Dick“ von Herman Melville, ist Captain Ahab besessen davon, den weißen Wal Moby Dick zu fangen und zu töten. In diesem Fall aber führt seine Besessenheit zu seinem Tod. Die Tragödie wirft also das moralische Dilemma auf, ob es vertretbar ist, Tiere zu jagen und zu töten, wodurch wieder eine Sublimierung des Bösen zum Guten entsteht, da das Böse diese Frage überhaupt erst aufwirft.
Auch die „Göttliche Komödie“ von Dante Alighieri fasst das Motiv der Hiobs Geschichte auf. In der Erzählung verirrt sich Dante in einem dunklen Wald. Abgekommen vom rechten Weg, trifft er die geisterhafte Erscheinung von Vergil, dem antiken Dichter, welcher ihm den rechten Weg aus dem Wald herausdeutet. Dafür müsse er durch die Hölle. Dante durchläuft die verschiedenen Ebenen der Hölle und sieht darin die Menschen, welche im Diesseits gesündigt hatten und nun bestraft werden. Die Hölle wird hierbei nicht nur als Ort der Bestrafung, sondern auch als Ort beschrieben, in dem die Sünder ermahnt und gelehrt werden. Also wieder Übel zum Zweck des Guten. Letzten Endes schafft es Dante aus der Hölle heraus und seine Jugendliebe Beatrice, hier auch als Geist auftretend, bringt ihn ins Paradies. Somit stellt auch die Erzählung im Gesamten eine Leidensgeschichte gefolgt von Glückseligkeit dar.
Die Hölle ist also eine Art Strafjustiz. Eine Boshaftigkeit, ein Schmerz, den man erleiden muss, da man davor gesündigt hatte. Darin besteht die Hoffnung, dass Straftäter sich aus Schreck vor den Konsequenzen wieder dem Guten zuwenden und folglich auch weitere Straftäter abgeschreckt werden.
Insgesamt ist also zu sagen, dass das Böse als notwendig erachtet werden kann, da es das Gute im Menschen fördert und uns hilft, unsere moralischen Überzeugungen zu hinterfragen und unsere Werte zu klären und zu schärfen. Auch persönlich profitieren Menschen ausgiebig von Elend und Bösem, da darin die Möglichkeit besteht, als Person zu wachsen. So schreibt Malcom X passend: „There is no better than adversity. Every deafeat, every heartbreak, every loss, contains ist own seed, ist own loesson on how to improve your performance the next time.“

Jedoch stellt sich, bei genauerem Betrachten die Frage, ob die Notwendigkeit des Bösen als solches gegeben ist. „What doesn’t kill you makes you stronger“, heißt es im Englischen. Stimmt das? Oftmals nicht. Häufig sind es die Schicksalsschläge im Leben, das Übel, das uns widerfährt, genau das, was uns bricht und traumatisiert. Folglich erholt sich das Leben vieler nicht. Man denke dabei bloß an tragische Autounfälle, welche die Opfer paralysiert lassen, oder eine teure Person im Leben rauben. Man denke dabei bloß an tragische Krebsdiagnosen, welche den Körper schwächen und subsequent Lebensqualität und Dauer rauben. Die Liste ist endlos. Des Weiteren sind genau die Taten, welche von Mensch zu Mensch verübt werden, am schwersten. Die Besonnenheit und höhere Kognition, welche uns Menschen ausmacht, macht dabei Platz für niedere Bedürfnisse. Fragt man aber die Täter, kommt man häufig zu einer erschreckenden Erkenntnis. Menschen sind im Generellen überzeugt davon, dass ihre eigenen Intentionen und folglich ihre Handlungen, gut sind. Aber gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Ist vor diesem Hintergrund die Boshaftigkeit nicht ein bloßes Nebenprodukt des – im Zweifel fehlgeleiteten – menschlichen Handelns? Und folglich fundamental unnötig und nutzlos? Schlussfolgernd entsteht hierdurch eine Unsicherheit im eigenen Handeln, welche uns ständig verfolgen sollte. „Meine Intentionen sind gut, aber handle ich auch richtig?“, ist hierbei das Motto der Selbstreflexion.
Dabei ist es wichtig, weiter zu differenzieren. Denn das eigene Handeln als richtig oder falsch, gut oder böse zu kategorisieren, muss auf Werten und Richtlinien fußen, welche nicht direkt ersichtlich werden. Ab wann ist eine Handlung böse?
Ein Richtwert könnte das Empathievermögen sein. Reagiert ein Mensch auf meine Handlung schlecht, könnte es an mir liegen. Jedoch ist Kausalität nicht vollständig gegeben, da die Reaktion der Menschen mit der Varianz der Persönlichkeiten schwankt. Dennoch lässt sich sagen, dass die Empathie zwar nicht ausschöpfend ist, aber definitiv zentral, um bösartiges Handeln zu verstehen.
Ein Konzept, welches der Empathie naheliegt, aber sich nicht vollständig damit überlappt, ist der kategorische Imperativ von Kant. „Handle so, dass die Maxime deiner Handlung allgemeingültig sein könnte.“ Diese Art des Denkens, bedient sich einem gewissen Maß an Empathie und des Weiteren der Logik. Häufig wird der kategorische Imperativ missverstanden als die Goldene Regel: „Was du nicht willst, dass man dir tut, das füg auch keinem andren zu.“ Jedoch fällt das zu kurz. Im Falle eines Masochisten, also einer Person, die nur durch Erleiden von Demütigung, Schmerz oder Qual volle sexuelle Befriedigung erlangt, würde die Goldene Regel Schmerz, Qual oder Demütigung erlauben, der kategorische Imperativ aber nicht. Denn die Allgemeingültigkeit im kategorischen Imperativ zwingt den Handelnden dazu, sich in die Lage anderer zu versetzen, von denen viele nicht masochistisch sind. So wäre masochistisches Verhalten nicht allgemeingültig, da das Verhalten bei Anderen Schmerz und Qual verursachen würde, aber keine Befriedigung.
Aber auch religiöse Traditionen haben sich der Frage zugewandt, welches Verhalten genau als boshaft zu kategorisieren und damit zu vermeiden ist. So definiert der Hinduismus 5 Regeln (yamas), welche als ethische Lebensgrundgesetze zu verstehen sind und hierarchisch angeordnet sind. 1. Ahimsa: Gewaltlosigkeit in Handeln und Sprechen. Durch gewoltvolles Handeln und Sprechen werde schlechtes Karma geboren, sowohl im Täter als auch im Opfer, wodurch das ewige Leid der Menschen weiterbestehen wird. 2. Satya: Wahrhaftigkeit. 3. Asteya: Nicht stehlen. 4. Brahmacarya: Abstinenz, bzw. Kontrolle über die sexuelle Begierde, da diese die stärkste der Begierden darstellt und den Menschen an das irdische Leben bindet und damit die spirituelle Befreiung (Moksha) blockiert und folglich zu mehr Leid führt. 5. Aparigrahah: Nicht gierig sein.
Bindet man sich an die oben genannten Richtlinien im Leben entsteht so wenig Leid und Boshaftigkeit wie nur möglich. Im Idealfall wird jegliches Leid dadurch ausgelöscht. Aus der ersten Argumentation entsteht nämlich der Trugschluss, dass das Gute das Böse bedinge. Jedoch ist menschlicher Fortschritt auch ohne Böses denkbar, beziehungsweise wird das Gute erst bedingt durch das Fehlen des Bösen. An dem Beispiel der Traumafolgestörung wird das ersichtlich. Menschen, die in der frühen Kindheit traumatisiert wurden, leiden häufig an posttraumatischen Belastungsstörungen und büßen massiv an Lebensqualität ein. Auch ist es bewiesen, dass Opfer von Gewalttaten, oder ähnlich Bösem, häufig selbst zu Gewalttaten tendieren und den Zyklus des Leids an andere Leute weiterreichen. Ist es vor dem Hintergrund nicht mit Sicherheit zu sagen, dass jegliches Schlechte, das einem widerfährt, fundamental unnötig ist? Das Konzept des „posttraumtic growth“ beschreibt die Tendenz vieler PTBS-Patienten, nach einem traumatischen Erlebnis als Person zu wachsen und nicht in der Opferrolle zu verbleiben. Jedoch unterliegen diese immer noch denjenigen, die nie traumatisiert wurden, an Lebensqualität und -dauer.
Folglich steckt hinter dem Konzept des Guten, das das Böse braucht, die menschliche Fähigkeit, dem Bösen eine bedeutungsvolle Rolle zuzusprechen, um dadurch Kraft zu schöpfen und zu wachsen, wobei dies nichts anderes ist als ein Abwehrmechanismus des Menschen vor der erschütternden Verzichtbarkeit des traumatischen Erlebnisses. Der Psyche unterliegt also ein fundamentales Nicht-Wahrhaben-Wollen der Überflüssigkeit dessen, was einem geschehen ist und wird lediglich uminterpretiert. Auf den Kern heruntergebrochen aber wäre es besser, wenn das Böse nie geschehen wäre. Letzten Endes ist zu sagen, dass der Mensch im Umgang mit dem Bösen die Resilienz des Selbst zeigt, in dem er das Böse als Bedingung des Guten uminterpretiert. Logisch durchgedacht verbleibt von er Notwendigkeit des Bösen jedoch nichts. Die dadurch entstandene Überflüssigkeit des Traumas, also die Erkenntnis, dass das Geschehene kein Licht am Ende des Tunnels birgt, sondern von vornherein zu sagen war, dass es besser wäre, wäre nichts Böses geschehen, stellt den wahren Feind. Dies gilt allgemein für jegliches Böse und wurde von der Literatur, der Religion und der Philosophie lediglich sublimiert, um dennoch das Gute im Bösen zu finden. Somit ist aber nicht gegeben, dass das Gute das Böse bedingt, sondern vielmehr, dass die Resilienz des Menschen zeigt, dass selbst dem sinnlosesten Bösen die Stirn geboten werden kann.