Mir kamen seine Augen wieder in den Sinn, wie sie meinem flehendem Blick auswichen.

Dieser Moment hatte sich in meine Erinnerungen gebrannt, als wäre er lebensnotwendig.

Er hatte sich mit einem Nicken zu ihr weggedreht, als bedurfte es keiner Worte mehr an mich.

Sie waren beide gegangen, ohne nochmals einen Blick an mich zu verschwenden. Ich wurde wieder zurück an meinen Platz verwiesen. Mein Blick richtete sich wieder an die Menge vor mir. Den Platz, an den ich nicht gehörte.

Meine Hände ballten sich zu Fäusten. Immer noch wurden Namen aufgerufen und es würde nicht mehr lange dauern bis ich drankam. Es fühlte sich nicht an, als würde etwas Neues beginnen, sondern eher als würde alles enden.

Endlich hörte ich meinen Namen. Ein Ruck durchfuhr mich. Man wollte, dass das Warten aufhörte und doch war man nicht auf das Ende vorbereitet.

Ich ging ein paar Schritte nach vorne und nahm den Kristall in beide Hände, umklammerte ihn regelrecht, als könnte er mich retten.

Das Zittern ebnete ab und machte einer inneren Ruhe platz.

Ich spürte diese Unsicherheit schwinden, doch mein Herz ließ sich trotzdem nicht beruhigen. Ich sah Mutter in der Loge, die mit neutralem Gesichtsausdruck auf mich hinabsah.

Dann tauchte wieder sein Gesicht vor meinem inneren Auge auf und die Gefühlswelt ließ sich nicht unter Kontrolle bringen. Ich schloss die Augen und versuchte alles hinter mir zu lassen.

Der Kristall in meiner Hand wurde immer wärmer, bis er förmlich zu glühen schien. Ich konnte ihn nur noch mit Mühe halten.

Mein Kopf und mein Herz trugen einen Kampf aus, bei dem keiner gewinnen konnte.

Mit einem Mal zersprang der Kristall in alle Einzelteile, ich riss die Augen auf und starrte auf die feinen blutigen Linien, die sich über meine Handflächen zogen.

Die Menge keuchte und mein Blick huschte sofort zu meiner Mutter. Sie hatte die Augen zu dünnen Strichen verengt und ihre Lippen waren zu einer Linie zusammengepresst.

Ich fing wieder an zu zittern, als ich die Schnörkel an meinen Handgelenken erkannte. Sie waren grau.

Nicht golden. Nicht schwarz.

Tränen sammelten sich in meinen Augen.

Die ganze Zeit hatte ich gefühlt, dass ich hier nicht hingehörte. Weder auf die eine, noch auf die andere Seite.

Ich war weder Licht noch Dunkelheit. Ich war der Schatten, den niemand anerkannte und der doch immer ein Teil von jedem war.

Der Leiter neben mir wich einen Schritt zurück, seine Augen weit aufgerissen. Ich hob den Blick und schaute geradewegs auf die Menge hinunter.

„Das passiert, wenn ihr zwischen geliebten Menschen wählen lasst, die auf unterschiedlichen Seiten stehen.“ Ich schrie förmlich, es war nicht mehr nur die Trauer, die mich erfasste. Es war regelrechte Wut.

„Du bist unvollkommen“, flüsterte der Leiter neben mir, ich zuckte zusammen und schloss kurz die Augen. Dann atmete ich tief durch und es stahl sich ein Lächeln auf meine Lippen.

„Nicht ich bin unvollkommen. Sondern ihr seid es.“

Er wich einen weiteren Schritt vor mir zurück.

„Alle seid ihr so darauf versessen rein zu sein. Ihr tragt kein Stück des anderen in euch. Ihr seid unvollkommen. Allesamt. Das eine kann es ohne das andere nicht geben, wann begreift ihr das endlich. “

Ich schrie meine ganze Wut hinaus. Die ganze Frustration, die sich seit Monaten in mir angestaut hatte.

„Und das ist das Ergebnis. Seht, was ihr daraus gemacht habt, gegenseitig immer diesen Hass zu sähen. Diesen Neid. Dieses unvollkommene Leben.“

NARYA