Gedichtinterpretation
Gedichtinterpretationen spielen im Deutschunterricht spätestens ab der Oberstufe eine große Rolle und stehen normalerweise auch in jedem Jahr in der Abiturprüfung zur Auswahl.
Da wäre es gut, wenn man weiß, wie man so etwas aufs Papier bringt.
Eine Deutschlehrkraft in der Schule hat zumeist nicht genug zeitlichen Spielraum, um auch den Schülern, die damit so wirklich gar nichts anfangen können, das Interpretieren von Lyrik so beizubringen, dass es auch von diesen in der Abi-Prüfung gewählt werden könnte, wenn Erörterung und Co. nicht infrage kommen.
Oftmals bleiben Fragen offen.
Manchen Schülern fällt es schwer, die im Unterricht besprochenen Varianten oder Optionen anzuwenden.
Auch ich habe das bei einigen Klassenkameraden während meiner Schullaufbahn erlebt und mir diesbezüglich ein paar Gedanken gemacht, um den ein oder anderen Tipp an diejenigen weiterzugeben, die ihn gebrauchen können.
Hierbei muss ich erwähnen, dass diese Tipps aus meinen Erfahrungen als Schüler stammen und ich stets Lehrkräfte hatte, die meine Interpretationen abgesegnet haben.
Deshalb ist Folgendes wichtig:
Bei Interpretationen, egal welche und egal in welchem Fach, gilt immer in erster Linie die Interpretationsweise und die besprochenen Tipps des unterrichtenden Lehrers. Haltet euch also vorranging an dessen Vorgaben!
Im Folgenden werde ich das Gedicht „Umsturz“ (1977) von Ursula Krechel als Vorlage verwenden, aber auf Reim, Rhythmus, Metrum und rhetorische Mittel nicht genauer Bezug nehmen, da ich hier nur den Schreibablauf einer Gedichtinterpretation näher thematisieren will.
Schreibablauf einer Gedichtinterpretation
- Vorarbeit
1.1 Vorbereiten
Man kann und sollte sich auf Interpretationen immer vorbereiten!
- Welche Zeit der Literaturgeschichte haben wir in den letzten Wochen in Deutsch behandelt? Welche Autoren, welche Gedichtformen? Welche Themen (Expressionismus? Sturm und Drang? Melancholie? usw.) und was haben wir dazu aufgeschrieben?
- Darauf beruhend werft mal einen Blick ins Internet. Achtet dabei auf seriöse Quellen. Welche Ereignisse prägten eine gewisse Epoche? Welche Ereignisse prägten einen bestimmten (besprochenen) Autor oder eine Autorenwelt?
Hier ist es auch immer gut, nach zeitprägenden/epochenprägenden Zitaten oder Funfacts zu suchen. So etwas kann nicht nur für den Einstieg hilfreich sein, sondern auch für die eigentliche Interpretation.
Wichtig: Ihr müsst es euch merken können. Nichts zu Kompliziertes!
1.2 Aufgabenstellung betrachten
Schaut euch die Aufgabenstellung genau an. Gibt es explizite Fragen, die ihr zusätzlich beantworten/betrachten/auf die ihr Bezug nehmen sollt? Gibt es ein weiteres Gedicht oder ein Zitat, das ihr mit einbeziehen müsst?
Gedichtinterpretationen beginnen immer mit dem mehrmaligen durchlesen des Gedichts. Das ist vor allem wichtig, um euch ein Gefühl für die Welt zu geben, die dargestellt wird. Dann folgt der Blick auf die Zeitangabe und den Autor, wenn das denn gegeben ist. Aus diesen nebenstehenden Infos kann man gute Ideen für einen Einstieg ziehen.
–> Metrum, Reim, Rhythmus
Lernt auch Metrum, Reim und Rhythmus und rhetorische Mittel vor der Prüfung/Klausur auswendig! Wie unterscheidet man Jambus und Trochäus, Paarreim und Kreuzreim usw.?
Es gibt in diversen Deutschbüchern und auch im Internet Listen, die hier explizite Faktoren nennen. Konkrete Stilmittel mit Beispielen auswendig zu lernen kann eine große Hilfe sein.
–>Überschrift betrachten
Dann folgt die Überschrift. Auch wenn es oft aufgrund von Aufregung schwerfällt, macht ein kurzes Brainstorming beruhend auf den Fragen:
- Was ist die gemeinte und was die gesagte Bedeutung der Überschrift und wie passt sie zusammen mit der Epoche und dem Autor.
Zusatzinformation: Es gibt verschiedene Arten einer Gedichtinterpretation, wieder abhängig von eurer Lehrkraft, eurer Klassenstufe und den Vorgaben. Die 3 häufigsten sind: Eine Interpretation, in der Metrum, Reim und Rhythmus in die Gedanken und das Interpretieren mit einfließen und dies unterstützen hin zu einer fundierten, belegten Interpretation mit begründeten Schlüssen. Eine Interpretation, bei der zuerst der Inhalt interpretiert wird und dann Metrum, Reim und Rhythmus noch genannt werden, aber wenige bis keine Zusammenhänge dieser zur Bedeutung hinter dem Text dargelegt werden. Eine Interpretation, bei der Metrum, Reim und Rhythmus keine Rolle spielen, sondern nur die Bedeutung hinter den Worten wichtig ist, die fundiert aufgeschlüsselt werden soll. Wichtig: Gibt es keine besprochenen Angaben von eurem Lehrer, dann immer erstere! Metrum, Reim und Rhythmus sagen viel über Epoche und Bedeutung aus. Zweitere wird in der Regel nur in unteren Klassen angewandt, um sie an das eigentliche Interpretieren und Schlüsse ziehen heran zu führen. Und Letztere ist eine kurze, unvollständige Interpretation, die oft nur genutzt wird, wenn das Denken und Handeln der Epoche oder des Autors dargelegt werden soll z.B. in der Uni, wenn das große Ganze diskutiert wird und anhand von Textbelegen begründet werden soll/ besprochen wird und Hintergründe beleuchtet werden. Hier gehen die Profs. davon aus, dass man genau weiß, wie man eine Interpretation schreibt und das Metrum usw. da auch dazu gehören 😉 In einer Interpretation muss jede getätigte Aussage unbedingt anhand von Textbeispielen bewiesen werden! |
Wenn es zusätzliche Fragen in der Aufgabenstellung gibt, auch hierzu schon Gedanken machen!
2. Einstieg
Nach dem Brainstorming ist es von Vorteil, nochmals das Gedicht zu lesen und zu schauen, inwiefern die gefundenen Gedanken auf den gesamten Text zutreffen.
2.1 Thema finden
Jetzt müsst ihr die Kernaussage im Text finden. Auch bekannt als das Thema.
Beantwortet hier die Fragen: Um was genau geht es im Text? Was hat das männliche/weibliche lyrische Ich damit zu tun? Was wird konkret dargestellt/angeprangert/beschrieben?
2.2 Metrum, Reim, Rhythmus, Rhetorische Mittel markieren
Jetzt solltet ihr Metrum, Reim und Rhythmus markieren. Zur Erinnerung: hier ist sowas wie Jambus, Paarreim UND vor allem rhetorische Mittel usw. gemeint.
2.3 Den Einstieg schreiben
Wenn das erledigt ist, folgt nun der Einstieg beruhend auf eurer Vorarbeit.
Als Bsp. verwende ich, wie bereits erwähnt, Ursula Krechels „Umsturz“ von 1977. Dieses Gedicht musste ich in der 10. Klasse interpretieren.
- Beginnt mit einem Zitat:
„Ein Zeitgenosse Ursula Krechels, xy, sagte einmal, …“
ODER
„Dass allgemein bekannte Zitat von XY, „…“, sagt/beschreibt nimmt, ähnlich wie das vorliegende Gedicht Bezug auf …. Zu jener Zeit …“
- Beginnt mit einem geschichtlichen Fakt:
„In den 1970er Jahren prägte der Begriff „Neue Subjektivität“ eine weitere Richtung der deutschsprachigen Literatur …“
ODER
„Im vergangen Jh. war es üblich, dass …“
- Beginnt mit einem Funfact:
„XY brauchte yx Versuche, bis …“
ODER
„Vielen Menschen ist unbekannt, dass …“
- Beginnt mit einer/mehreren rhetorischen Fragen:
„Wie verdeutlichten Autoren der späten 1970er Jahre ihre Ansichten? Welche Gedanken versuchten sie in ihren Werken anklingen zu lassen? …“
- Beginnt mit „Stell dir vor, dass…“:
Anfängerniveau bis 10. Klasse zulässig und auch da eher für schwächere Schüler.
Euer Einstieg sollte 4 bis 7 Sätze umfassen.
Schreibt auf, was ihr wisst, mit Bezug zu Thema, Epoche oder Ideen, die euch während der Vorarbeit eingefallen sind.
3. Übergang zum Hauptteil
Die Verdeutlichung erfolgt wieder an Krechels „Umsturz“ 1977 und die Formulierung aus meinen eigenen Erfahrungen.
- Rhetorische Fragen
Rhetorische Fragen eignen sich immer gut, um vom Einstieg zum Thema zu leiten.
à „Was wären Gründe, so zu handeln?“, „Welche Gedanken kommen diesbezüglich in den Sinn?“ usw.
- Überleitender Satz
à „Der Autorin Ursula Krechel sind vielleicht ähnliche Fragen/Gedanken durch den Kopf gegangen, als/bevor sie das Gedicht „Umsturz“ 1977 schrieb/veröffentlichte. …“
- Zeit-/Epochenbezug
à „… Es entstand in einer Zeit, in der die Frauen in der Lyrik endgültig Fuß gefasst hatten. Die Autorin war von der Frauenbewegung und neuer Subjektivität beeinflusst. Die deutschsprachige Lyrik fing immer mehr an, den Menschen, so wie er war, mit all seine Facetten und seiner Unzufriedenheit, in den Mittelpunkt allen Geschehens der Gesellschaft des geteilten Deutschlands zu stellen. …“
- Thema
à „… Das Thema von Ursula Krechels Gedicht befasst sich mit dem Neuanfang, dem Ausbrechen aus dem Alten, Langweiligen um sein Leben wieder genießen zu können, da das Vergangene einem selbst nur noch an den Kräften zehrt. …“
- Lyrisches Ich
à „… Dies zeigt die Autorin anhand eines weiblichen lyrischen Ichs, vermutlich mittleren Alters, das den Leser nicht direkt anspricht. Die letzte Zeile, „Abteilung Mensch weiblich“, verdeutlicht diesen Gedanken. Das lyrische Ich will nicht mehr nach alten Regeln tanzen, nicht mehr gewohnt ordentlich sein. …“
4. Hauptteil
Wenn ihr das am Anfang noch nicht gemacht habt, folgt jetzt das Markieren von Metrum, Reim, Rhythmus und der rhetorischen Mittel.
Besser ist es aber für den Gedankenfluss, dies vor dem Schreiben zu erledigen.
- Interpretation
Jetzt spaltet ihr das Gedicht auf. Analysiert/Interpretiert vom Großen zum Kleinen, Strophe für Strophe.
Heißt:
Thema des Gedichts à Thema der einzelnen Strophen à Aussagen der Zeilen
Die Inhaltsebene sollte hierbei als erstes in Augenschein genommen werden. Also zuerst das, was gesagt wird und dann das, was gemeint ist.
Wichtig: Auch einzelne Wörter, die euch ins Auge stechen, müssen interpretiert werden.
- Bsp. aus „Umsturz“: „Fußnoten“ „Schalldämpfer“, „Magermilch“, „Flatterflügel“
Bezieht alles, was ihr findet, wieder auf das Thema, die Epoche und die eventuell gestellten Nebenfragen in der Aufgabenstellung.
- Ablauf
Beginnt bei der ersten Strophe.
Erläutert den klaren Inhalt, dann interpretiert diesen hin zu Thema und Aufgabenstellung. Untersucht Metrum, Reim, Rhythmus und interpretiert diesen ebenfalls auf die Aussage hin.
Zum Beispiel: „In der ersten Strophe des vorliegenden Gedichts wird xy beschrieben/thematisiert. Es wird deutlich, dass das lyrische Ich …. Dies wird auch durch das xy Reimschema erkennbar, welches…“
Dann folgt der Übergang von Strophe 1 auf Strophe 2.
Gibt es strophenübergreifende Reime, Aussagen, Inhalte?
Dann folgt Strophe 2.
Das Gleiche wie bei Strophe 1 wird abgearbeitet und wieder ein Übergang untersucht.
Das macht ihr bis ihr mit dem Gedicht durch seid. Hier ist wichtig, ob in dem Gedicht eine Art Entwicklung stattgefunden hat:
Zum Beispiel: „Am Ende der letzten Strophe scheint das lyrische Ich noch einmal eine Art Bilanz zu ziehen und sich über xy Gedanken zu machen. Hierbei bleibt aber die Frage offen, ob …“
Im Hauptteil ist auch euere Vorarbeit wichtig. Vor allem zusätzliche Fakten zu den genannten Wortspielen im Gedicht sind nicht nur gute Zeilenfüller, sondern auch für das Verständnis des Gedichts wichtig. Ihr müsst immer davon ausgehen, dass derjenige, der eure Interpretation liest, absolut keine Ahnung von dem Gedicht hat und seine Fragen dazu beantwortet haben und hinter die Aussage des Textets steigen will.
Wichtig: Ist in eurer Aufgabenstellung ein zweites Gedicht gegeben, das ihr auf euer Hauptgedicht beziehen sollt, dann müsst ihr das zweite Gedicht (wenn ihr das nicht anders im Unterricht besprochen habt) nicht noch einmal vollständig interpretieren, sondern nur die Fakten, die Aussagen aus eurem Hauptgedicht unterstützen oder widerlegen, mit einfließen lassen.
Es sei denn, die Aufgabestellung sagt explizit etwas anderes oder beinhaltet die Aufforderung „Vergleiche“ oder etwas mit ähnlicher Bedeutung. Dann müsst ihr auch das zweite Gedicht vollständig mit Thema usw. interpretieren und vor allem Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die euch auffallen, erwähnen und dazu Bezug nehmen.
Habt ihr von Anfang bis Ende das Gedicht samt Metrum, rhetorischer Mittel usw. durchgekaut, auf alles Wichtige Bezug genommen und jede eurer Aussagen anhand von Textauszügen begründet, folgt nun der Schluss.
5. Übergang zum Schluss
Vorneweg: Der Schluss sollte hierbei die kleinste Sorge sein, denn in einer normalen Doppelstunde schafft man den in einer guten Interpretation in der Regel gar nicht.
Sobald er aber von der Lehrperson gewollt ist, müsst ihr schlimmstenfalls ein paar Infos aus eurem Hauptteil rauslassen, um den Schluss in den letzten 10 Minuten noch scheiben zu können.
Aber in der Prüfung sollte er immer vorhanden sein!
Übergang zum Schluss bildet eine Art Resümee:
- Beginnt mit:
„Zum Schluss kann man sagen …“,“Zusammenfassend …“, „Daraus schlussfolgernd …“ (eher ein Niveau für untere Klassen)
- Beginnt mit:
„Wie in der Einleitung beschrieben, stützt sich das Thema xy auf die gerade genannten Punkte …“
- Beginnt mit:
„Im Großen und Ganzen entspricht das Gedicht deutlich einem Gedicht des xy Jahrhunderts. Es thematisiert explizit xy und weist typische Merkmale der xy Epoche auf.
6. Schluss
Hier werden wichtige Inhalte nochmals erwähnt, die ebenfalls zum Verständnis beitragen.
Zum Beispiel: „Zurückführend auf …“
Dann folgen explizite Beantwortungen der Nebenfragen, die Verdeutlichung der Absichten des Autors und ein rundes Ende, das auch mit einer rhetorischen Frage enden kann oder am besten auf den Einstieg Bezug nimmt.
Der Schluss entspricht längenmäßig dem Einstieg.
Grundlegendes Ziel dieses Blogeintrages ist es, denen, die Hilfe brauchen, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie man eine Gedichtinterpretation schreiben könnte.
Wie bereits erwähnt, stammen alle Fakten dieses Eintrags aus meiner eigenen Erfahrung mit Interpretationen und Deutschlehrern.
Deshalb ist es absolut nicht schlimm, wenn ihr es anders gelernt habt und eure eigenen Ideen in eure Interpretationen mit einfließen lasst.
Das würde mich besonders freuen!
Es ist immer ein gutes Zeichen dafür, dass euer Verständnis über den Schreibablauf einer Gedichtinterpretation weiter reicht, als ihr zu Beginn gedacht habt.
Zum Schluss noch eine Sache:
Interpretationen schreiben ist wie Fahrrad fahren. Üben, üben, üben, bis man es verstanden hat. Dann verlernt man es in der Regel nicht mehr.
Tia Bibra
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