Der Mann, der von allen nur Gotteshauch genannt wurde, stand regungslos auf der Kommandobrücke und beobachtete, wie tausende Menschen ihr Leben binnen Sekunden verloren. Seine Augen starrten in unendliche Weite außerhalb des Raumschiffs. Kleine Punkte blitzten im Sekundentakt auf. Vernichtete Schiffe der Gegner.

Ein heulender Alarm erfasste die Brücke. Der Gotteshauch zuckte nicht zusammen, winkte nur mit der Hand einen seiner Unteroffiziere herbei.

»Ein Schiff nähert sich. Transpondersignal ist ausgefallen. Wir können die Kennung nicht abrufen.«

»Wie lange, um die Signatur des Schiffes zu identifizieren?«

Der Unteroffizier schluckte, sagte nichts.

»Wie lange?«

»Einige Minuten vielleicht, Sir.«

Jetzt drehte sich der Gotteshauch zu ihm um. Seine Augen durchbohrten den Mann förmlich. Als könnte er durch den Schädel hindurchsehen und die Gedanken lesen.

»Machen Sie sich an die Arbeit. Sie haben Zeit, bis der Frachter uns erreicht.«

Der Gotteshauch blickte dem Unteroffizier hinterher. In ihm tobte ein Sturm von Gedanken. Hunderte mögliche Zukünfte, so viele unbekannte Variablen. Aber niemals durfte er diese Unsicherheit nach außen zeigen. Die Menschen mussten unerschütterlichen Glauben in den GOTT haben.

Doch hier draußen war er weit entfernt von ihm. Hier draußen war das unbekannte Terrain.

Die Alarmglocken heulten erneut auf. Das Raumschiff war nur noch wenige Kilometer entfernt. Nicht mehr lange und es würde die Schilde durchdringen. Wenn es Waffen an Bord besaß und hinter den Schilden war … dann konnte es niemand mehr aufhalten.

»Haben wir die Signatur identifiziert?«, rief er in den Raum. Wann immer er die Stimme erhob, zuckten die Leute um ihn herum zusammen. Am liebsten würde er dann lächeln. Aber das konnte er nicht. Sein GOTT hatte ihm aufgetragen, sein emotionsloser Vollstrecker zu sein. Furcht und Schrecken über die Galaxie zu bringen und die Leute zum Glauben zu bekehren. Er durfte niemals seine menschliche Maske vor den anderen zeigen.

»Noch nicht, Sir. Eine halbe Minute.«

Die hatten sie nicht mehr. Ein Countdown erschien auf dem Bildschirm vor dem Gotteshauch. 20 Sekunden bis zum Durchdringen des Schutzschildes.

19.

18.

17.

Er musste eine Entscheidung treffen. Wenn das Schiff ein feindlicher Bomber war, konnte ihr ganzes Schlachtschiff vernichtet werden. Was würde dann mit der Flotte geschehen?

Aber was, wenn es der Frachter aus der Weltraumstadt Or’leph’rak war? Vielleicht befand sich gerade die wichtigste Waffe des Universums an Bord dieses Schiffes.

9.

8.

7.

Schweiß lief über seine Stirn. Er widerstand dem Drang, ihn wegzuwischen. Niemand durfte sehen, was in ihm vorging. Wenn er die falsche Entscheidung traf, konnte das das Ende für sie bedeuten.

3.

2.

»Abschuss vorbereitet«, rief jemand durch den Raum.

1.

»HALT!« Die Stimme des Gotteshauches donnerte förmlich durch den Raum.

Genau in diesem Moment durchdrang der Frachter das Schild. Auf der Brücke herrschte Todesstille. Der Gotteshauch hielt den Atem an, sein ganzer Körper steif und regungslos.

Einen Angriff im Weltraum konnte man nicht hören oder sehen. Man spürte ihn erst beim Einschlag.

Sekunde um Sekunde verstrich. Doch nichts geschah. Da war kein Einschlag, keine Erschütterung. Und nach einer halben Minuten endlich atmete der Gotteshauch auf. Er hatte die richtige Entscheidung getroffen.

»Zwei Leute mit mir mitkommen«, sagte er. Er drehte sich um und verließ im Laufschritt die Brücke. Seine Wachen rannten ihm hinterher, mindestens zehn Meter abgeschlagen. Doch das interessierte ihn nicht. Wenn dies der Frachter war, musste er sofort die Ladung entgegennehmen.

Die mächtigste Waffe, die jemals geschaffen wurde.

Die Waffe, die den Krieg beenden würde. Und die Galaxie in ein neues Zeitalter bringen würde.

Das Zeitalter des GOTTES.

Nach nur wenigen Minuten erreichte er das Deck des Schlachtschiffes. Eine Barriere zum Weltraum versiegelte das Innere des Schiffes.

Er erkannte sofort das Deck, auf dem der Frachter angelegt hatte. Es war der einzige Frachter weit und breit.

Er breitete seine Arme aus, deaktivierte seine Magnetstiefel. Er kannte dieses Prozedere, hatte es schon unzählige Male ausgeführt. Mit gottgleicher Anmut schwebte er über das Geländer, hinunter zum Anlegeport des Schiffes. Es musste für die Insassen wirken, als käme der Gesandte GOTTES zu ihnen.

Die Edelsteine auf seinem schwarzen Mantel reflektierten die Lichter der Raumschiffe um ihn herum, verliehen ihm eine strahlende Aura.

Tullio, ein Schmuggler und Gläubiger, trat aus dem Raumschiff. In seiner Hand ein kleiner Koffer. Wer hätte denken können, welch Macht in seinen Händen lag? Als er den Gotteshauch zu ihnen herabschweben sah, fiel er instinktiv auf die Knie und begann zu beten.

»Mein Gott, verschone mich. Mein Gott, bitte verschone mich. Marai, thei, epaine marai, khun nomen ushaio. Marai, thei, epaine marai, khun nomen ushaio.«

Der Gotteshauch stoppte einen Meter über dem Boden, schwebte einfach dort, sagte nichts.

»Gotteshauch, ich habe euch geliefert, wie versprochen.« Tullio hielt mit ausgestreckten Armen den Koffer vor sich. »Bitte verschont mich.«

Der Gotteshauch ergriff den Koffer, öffnete die Verriegelung. Nur zwei Klappriegel aus billigem Metall. Doch innendrin wartete eine unfassbar mächtige Waffe.

Eine fast durchsichtige Karte kam zum Vorschein. Goldene Linien, die oszillierten. Das war sie also. Die Waffe, die den Krieg beenden konnte.

Für nur einen Sekundenbruchteil ließ sich der Gotteshauch von seinen Gefühlen übermannen. Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, hässlich und dreckig. Wie das Lächeln eines Psychopathen, bevor er seine Beute töten konnte. Tullio riss die Augen auf, wich instinktiv zurück.

Dann hatte sich der Gotteshauch wieder unter Kontrolle. »Dein GOTT dankt dir für deinen Dienst.« Bevor Tullio reagieren konnte, hatte der Gotteshauch ein Schwert aus seinem Mantel gezogen. Völlig schwarz, die Klinge perfekt geschliffen. Mit einem Zischen schwang es durch die Luft und glitt geräuschlos durch Tullios Hals. Tullios Augen waren weit aufgerissen, als sein Kopf auf den Boden knallte. Blut spritzte auf den Umhang des Gotteshauchs.

»Macht sauber«, sagte er, dann schwebte er davon.

Er schwebte den Gang zurück zur Brücke, in seiner Hand die kleine durchsichtige Karte. Die goldenen Linien pulsierten an den Stellen, an denen seine Finger die Karte berührten. So viel Macht in seinen Händen. Dies war das Geschenk seines GOTTES.

Er erreichte die Brücke. Noch immer tobte die Schlacht in dem Sternsystem, das später den Namen Fortuna erhalten würde. Im Sekundentakt blitzten kleine Lichtpunkte auf, Feuerbälle zerstörter Raumschiffe in vielen tausenden Kilometern Entfernung. Doch dies würde nun ein Ende haben.

Er platzierte seine Daumen auf der Karte. Bläuliches Licht tauchte unter ihnen auf. Die goldenen Linien verzerrten sich, bildeten Kreise. Das Pulsieren verstärkte sich.

»Auf Übertragung schalten«, befahl er. »Langstrahlübertragung an alle Schiffe im System und an die ganze Galaxie!«

Niemand widersprach ihm. Etwa eine Sekunde später ertönte ein einzelnes Piepen, das Signal, dass gerade übertragen wurde.

»Ich spreche zu allen Gläubigen und Ungläubigen heute. Der heilige Krieg hat begonnen. Euer GOTT ist gekommen, um die Welt zu reinigen und neu zu ordnen. Nun seht, welch Macht euer GOTT besitzt!«

Es dauerte einige Stunden, bis das Signal die Allianz erreichte. Totenstille herrschte im Saal, als der Gotteshauch im schwarzen Mantel auftauchte. Seine Augen leuchteten feuerrot, als er sprach.

Dann schaltete die Kamera um. Unter Entsetzen mussten die Anwesenden beobachten, wie binnen einer Sekunde ein Inferno freigesetzt wurde. Aus dem Nichts explodierten alle Fighter der Allianz. Feuerbälle überall, wo man nur hinschauen konnte. Und dann eine Sekunde später ging die Klypo, das größte Schlachtschiff der Allianz in Flammen auf. Ein riesiger Feuerball erfüllte den Bildschirm.

Schock in den Gesichtern der Anwesenden.

Das Gesicht des Gotteshauches erschien auf dem Bildschirm. Feuerrote Augen. Die eine Gesichtshälfte schwarz, die andere völlig weiß.

»Jetzt seht ihr die wahre Macht des GOTTES!«