Ein neuer Tag. Eine neue Leiche.

Detective Charles seufzte und wischte sich mit der Hand über die Stirn. Die Luft war stickig und heiß in diesem Raum. Und es stank. Erbärmlich. Die Lüftungsanlage musste ausgefallen sein.

»Bringt das Scheißteil endlich jemand zum Laufen?« Niemand antwortete ihm. Kein gutes Zeichen. Schlechter Tag mal wieder. Wie eigentlich jeder Tag.

In diesem Moment betrat ein hagerer Mann in einem grauen Anzug den Raum. Er trug etwas in seiner Hand. Die Kollegen wichen ehrfürchtig vor ihm zurück, senkten die Köpfe.

»Mr Hayden.« Auch Charles beugte nun den Kopf. So tut man es, wenn der Chef antanzte.

»Detective Charles. Ich muss etwas mit Ihnen bereden.« Er hustete. »Aber nicht hier drin. Folgen Sie mir.«

Charles schluckte. Was es auch war, es konnte nichts Gutes sein. Einen Moment lang zögerte er, dann folgte er seinem Chef mit schnellen Schritten. Hayden war der Leiter aller Polizeikommissariate der Stadt. Jeder Bezirk war ihm unterstellt.

Als Charles aus dem Raum trat, blieb er kurz stehen, musste sich an die neue Gravitation gewöhnen. Hayden tippte auf seine Uhr, bedeutete ihm, in ein Flugtaxi zu steigen. Natürlich war es Haydens privates.

Erst als sie im Inneren saßen, die Türen und Scheiben geschlossen, begann Hayden zu reden. »Ich will sofort zum Punkt kommen, Detective Charles. Wir haben ein großes Problem.«

Verdammt. Er hatte es bereits befürchtet.

»Was können Sie mir über die Leiche erzählen?« Hayden starrte ihm in die Augen, so sehr, dass es sich anfühlte, als würde er durch sie hindurchblicken. Charles fröstelte.

»Es ist eine junge Frau. Mitte zwanzig, schätzen wir. Sie muss auf der Durchreise gewesen sein, zumindest der Wohnung nach zu schließen, in der wir sie gefunden haben.« Er wischte sich mit der Hand über die schwitzende Stirn. Dabei gab es hier doch sogar eine Klimaanlage!

»Weiter?«

»Na ja … wir konnten noch keine Identität feststellen, aber wir vermuten, dass es sich um eine … nun, wie soll ich das ausdrücken … eine Frau, die ihre Dienste anbietet, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

Haydens Augen verfinsterten sich. Verdammt. Dabei hatte er es doch sogar höflich formuliert.

»Wie kommen Sie zu diesem Schluss?«

»Nun … Frauen auf Durchreise ohne Reisegepäck, dazu die Lage der Wohnung und die Spuren an ihrem Körper …« Er ließ den Satz unvollendet.

Eine Weile schwieg Hayden. Charles schwitzte erneut, traute sich dieses Mal nicht, mit der Hand den Schweiß wegzuwischen.

»Sie irren.« Hayden drehte sich von ihm weg, schaute aus dem Fenster. »Verschwenden Sie nicht länger Zeit mit der Identitätsfeststellung. Sie werden nichts finden. Die Frau ist ein Geist.«

»Wer ist sie?« Er hätte sich im selben Moment schlagen können. Wie konnte man so bescheuert sein? Wie unprofessionell wollte er sich noch verhalten?

Hayden tat die Frage mit einer unwirschen Handbewegung ab. »Das spielt für Sie keine Rolle. Alles, was Sie wissen müssen, ist, dass die halbe Galaxis nach dieser Frau sucht. Auch die Allianz.«

»Was will die Allianz von einer durch die Galaxis reisenden Frau?«

»Sie hat etwas gestohlen. Etwas von großer Bedeutung für den Krieg gegen den Gott.« Charles zuckte zusammen, als Hayden den Gott erwähnte. Jedes Kind hier wuchs mit den Geschichten von ihm auf. Doch niemand von ihnen hatte ihn je mit eigenen Augen gesehen.

»Aber … die Frau hatte nichts. Wir haben sie vollständig untersucht.«

»Und das ist unser großes Problem.« Hayden drehte sich wieder zu ihm um, starrte ihm wieder mit diesem Blick in die Augen. »Sie müssen um jeden Preis herausfinden, was die Frau bei sich hatte. Und wer es jetzt hat.«

»Dieser Jemand ist bestimmt schon über alle Berge, Mr Hayden. Tausende Raumschiffe steuern täglich diese Stadt an und verlassen sie wieder.«

»Wir haben soeben einen Shutdown verkündet.«

Charles starrte Hayden ungläubig an. Einen Shutdown? Wie sollte diese Stadt überleben, ohne den Handel und die Waren aus allen Teilen der Galaxie?

»Die Allianz hat bereits Schlachtkreuzer ausgesendet, die uns in wenigen Stunden erreichen. Kein Raumschiff darf das System verlassen.«

Wieder musste Charles schlucken. Die Allianz persönlich schickte Schlachtkreuzer hierher. Mit einem Mal war es, als ob jemand ihm die Luft abdrückte. Als bekäme er keine Luft mehr.

»Ihnen ist hoffentlich bewusst, wie wichtig diese Ermittlung ist. Sie hat Vorrang vor allem anderen. Und wenn Ihre Leute die ganze Nacht durcharbeiten müssen, ich will, dass Sie denjenigen finden, der diese Frau ermordet hat.«

Ermordet. Also wusste er schon, dass es Mord gewesen war.

Plötzlich hielt das Flugtaxi an, die Tür auf der Seite von Charles öffnete sich. Er wartete nicht darauf, dass Hayden ihn anwies, auszusteigen. »Einen schönen Tag noch«, sagte er. Die Tür schloss sich, sobald er aus dem Fahrzeug war, und schon raste das Flugtaxi davon.

Ihm war schwindelig. Die ganze Welt drehte sich, er griff mit der Hand nach einem Geländer. Immer wieder hörte er die Worte von Hayden in seinem Kopf. Verdammte Scheiße! Wo war er nur hereingeraten? In einen interstellaren Krieg?

Er machte sich auf den Weg zurück zu seinem Büro. Etwa auf halber Strecke stoppte er. Mit einem Mal verspürte er den Drang, noch einmal den Tatort zu besichtigen. Es war so eine Art … Gefühl, nichts Konkretes. Er sprach in seinen Commlink am Handgelenk.

»Hey, hier ist Charles.«

»Charlie!« Frank aus dem Ermittlungsteam antwortete auf seine Nachricht.

»Hey, Frank. Ist der Tatort schon verlassen?«

»Ja, wir haben alles mitgenommen.«

Noch während er mit Frank kommunizierte, steuerte er das Flugtaxi in die Richtung des Tatorts. Eine schäbige Wohnung am Rande der Stadt, fast schon bei den Docks, die hinaus in den Weltraum führten. In die endlose Leere. Zumindest kam es einem so vor.

»Ich gehe noch einmal hin, okay?«

»Alles klar. Warum aber, wenn ich fragen darf? Hast du etwas gefunden?«

Charlie beendete das Gespräch wortlos. Er war da. Er setzte einen Schritt aus dem Flugtaxi. Die Wohnung mit der Nummer 4314A sah er sofort. Seltsamerweise stand die Tür offen. Hatten die Kollegen vergessen, sie zu schließen?

Er ging langsam auf die Tür zu, zog seine Waffe, nur für alle Fälle. Hier war alles still, niemand war zu hören. Er trat die Tür auf, horchte. Nein, immer noch nichts. Dann betrat er die Wohnung.

Wieder stach ihm ein Gestank in die Nase. Doch dieses Mal war es völlig anders als zuvor. Dieses Mal roch es … fremdartig. Wie etwas, das nicht auf diese Welt gehörte. Wo hatte er es nur schon mal –?

Plötzlich traf ihn etwas am Kopf. Ein dumpfes Geräusch, Schmerz schoss durch seinen Körper. Sein Schädel brummte, pochte, er stürzte zu Boden, etwas glitt aus seinen Fingern, was war es noch mal, irgendetwas Wichtiges, was machte er hier überhaupt, was …

Der ekelerregende Gestank wurde intensiver. Er spürte einen Lufthauch an seinem Ohr.

»Der Gotteshauch will nicht, dass du dich einmischt«, zischte eine Stimme. »Wir sind überall. Wir beobachten euch. Beende deine Ermittlungen, sonst holen wir dich.«

Es krachte. Dann wurde alles schwarz vor Charles Augen.

niklasatw