Perlmutt glänzte der verhangene Morgen über den Dächern der Stadt, trieb Nebel und Smog durch die Straßen und zwischen den Wolkenkratzern hindurch, feucht war die Luft vor den bodentiefen Fenstern. Der Wachholderbusch im wilden Garten hinter seinem Elternhaus hätte in tiefem dunkelgrün geleuchtet und die Steine der Terrasse wären rutschig gewesen. Doch er befand sich nicht in Connecticut. Er stand wartend im offenen Wohnbereich eines dieser zahllosen Luxusapartments irgendwo in Manhattan. Seinen nassen Trenchcoat war Thomas am Eingang bei einer großen, schlaksigen Frau, die sich ihm als Emma vorstellte, losgeworden. Das Hausmädchen, nahm er an. Jetzt trug er nur noch seine beige Ledertasche samt PC, Geldbeutel und Aufnahmegerät bei sich. Den Kaffee, den Emma ihm angeboten hatte, hatte er nicht haben wollen. Wenn er aufgeregt war, schien dieses Getränk beinah toxisch seinen Magen umzudrehen. Tee wäre ihm lieber gewesen, aber er hatte sich nicht getraut, danach zu fragen. Und jetzt stand er da, zupfte an seinem weißen Hemd, fuhr sich durch sein feuchtes Haar, wartete auf keinen geringeren als Zack Warner, den Starrennfahrer, der nicht nur wegen seines aggressiven Fahrstils berühmt geworden war, sondern auch aufgrund der zahlreichen Superstarfrauen an seiner Seite. Jen Tolbart, das Model Suzie Ines oder die diesjährige Oscarfavoritin Hanna Carmichael, um ein paar davon zu nennen. Und ausgerechnet dieser eingeschweißte Lebemann hatte sich jetzt entschieden zu heiraten. Eine ganz unbekannte Schönheit hier aus New York. Und das schrie geradezu nach einem Feature!
„Thomas, wenn Sie mir folgen würden. Er will Sie in der Bibliothek treffen.“ Thomas zuckte zusammen und machte erschrocken auf dem Absatz kehrt, als Emma, so leise, wie es ihr anscheinend möglich war, an ihn herantrat. Doch ehe er sich bei ihr, was er irgendwie wegen seiner träumerischen Art als nötig erachtete, entschuldigen konnte, hatte die blonde Frau bereits kehrt gemacht und steuerte die breite Glastreppe an, die in den oberen Stock des Lofts führte. Die gesamte Wohnung wirkte irgendwie steril. Weiß über weiß über weiß und zwischendurch ein Bild. Thomas hätte bei Zack, der allgemein nur als „Warner“ in den Medien bekannt war, mehr Farbe erwartet, mehr Leben. Thomas folgte Emma, ohne einen Ton zu sagen, verlor sich auf dem Weg nach oben aber beinah in einer großen Schwarz-Weiß-Fotographie aus dem Jahr ´95. Kein geringere als Michael Schuhmacher war drauf zu sehen. Der Deutsche hatte in jenem Jahr seinen ersten Weltmeistertitel geholt. Das waren noch Zeiten, dachte sich Thomas, als er, am oberen Ende der Treppe angekommen, an Emma vorbei in die Bibliothek steuerte.
Der Raum war entgegen seiner Erwartung in dunkle Töne gehüllt. Eine schwarze Couchgarnitur ruhte beinah mittig vor deckenhohen, dunkelbraunen Regalen, die an drei der vier Wänden standen und dem Titel „Bibliothek“ versuchten gerecht zu werden. Und das taten sie. Zumindest für ungeschulte Augen wie die von Thomas. Er liebte das Schreiben und Interviewen, aber Romane oder Lexika lesen war nie so sein Ding gewesen. Die vierte „Wand“ war eine Fensterfront, die wieder das verhangene New York zeigte und Thomas daran erinnerte, weshalb er eigentlich in diesem Raum war. Zack Warner.
Der Rennfahrer saß an einem überdimensionalen Schreibtisch vor dem Fenster, einen offenen PC vor ihm und eine Tasse Kaffee daneben. Er schien in etwas auf dem Bildschirm vertieft zu sein. Thomas richtete sich auf und trat ein paar Schritte auf ihn zu. „Entschuldigung? Mr. Warner?“
Zack Warners Blick richtete sich auf den Journalisten vor ihm und auf seinen Lippen formte sich ein breites Grinsen. „Sie sind Thomas, ja?“ Seine dunkle Stimme hatte einen komischen Unterton. Irgendwie … herausfordernd. Thomas nickte. „Ja. Thomas Splitt. Ich bin für das Feature hier. Aber das wissen Sie. Nehme ich an.“ Thomas erzwang sich ein Lächeln und hoffte inständig, dass er somit zumindest Ansätze von Gelassenheit ausstrahlte. Warner lachte kehlig. „Ja, Mann. Das weiß ich. Ich hatte zwar gestern einiges, aber meine Termine bekomm ich noch auf die Reihe. Und wenn nicht, da ist ja immer noch Emma.“ Wieder lachte er, doch diesmal gehässiger. Warner schwang sich mit einem Stoß auf die Füße und klappte mit einer weiteren schnellen Bewegung den Computer vor sich zu. Er war kleiner, als sich Thomas vorgestellt hatte. Kleiner, aber wesentlich muskulöser. Sein Bizeps quoll beinah aus den Ärmeln seines dunklen Polohemds, als er sich langsam um den großen Schreibtisch bewegte und auf Thomas zutrat. Suzie Ines hatte einst über seine markanten Gesichtszüge gesagt, dass sie scharf und kühl wären wie seine Seele. Und beinah genau so erotisch. Was auch immer das zu bedeuten hatte, Thomas beließ es bei einem Gedanken daran und konzentrierte sich voll und ganz auf die Hand, die Warner ihm lässig entgegengestreckt hatte. Er schüttelte sie mit einem festen Griff, denn er wollte unbedingt vermeiden, dass sein Gegenüber von seiner Aufregung Wind bekam.
„Also, wollen wir uns setzen?“ Warner zeigte auf die schwarze Ledergarnitur und fuhr sich dann durch sein kurzes, dunkles Haar, das Grinsen noch genauso breit wie zuvor. Thomas nickte erneut. „Gerne, wie und wo es Ihnen am besten passt.“
„Dann auf jeden Fall die Couch und nenn mich Warner, Thomas. Ich mag das ‚Sie‘ in meinem zu Hause nicht hören.“
Wieder nickte Thomas. „Also dann, ich würde vorschlagen, dass ich mein Aufnahmegerät einschalte und wir ein bisschen über ihre Hochzeitspläne reden und auch die Frau, die sie gewähl –“
„Wowow. Moment mal.“ Warners Lachen wurde wieder breiter und wesentlich lauter. Er ließ sich nach hinten in die Couch fallen und schlug sich auf die Oberschenkel. „Das hat echt funktioniert? Ich meine deine Zeitschrift da und du auch? Ihr habt mir das abgekauft?“ Seine buschigen Augenbrauen blitzen in die Höhe und er beugte sich wieder vor. „Ich dachte sowas würde man immer sagen, wenn man ein Exklusivinterview über viel krassere Scheiße machen will und ihr wüsstest dann Bescheid.“ Thomas verstand nun wirklich gar nichts mehr. Er konnte nicht anders, als Zack Warner anzustarren wie ein Jahrhundertereignis, und in den Tiefen seines Unterbewusstseins begannen sämtliche Glocken zu bimmeln. Was folgen würde, hatte großes Potential sehr unangenehm zu werden und bevor Thomas seine Gedanken zu Ende gedacht hatte, platzte Warner mit der Tatsache heraus: „Ich will nicht über meine Kleine sprechen. Ich will dir ne Schlagzeile liefern, die ganz Hollywood in die Luft sprengen wird. Sämtliche, reiche Vollidioten wird das den nächsten Job kosten. Das kann ich dir versprechen, Thomas Splitt.“ Wieder schlug sich Warner auf die Beine. Nur diesmal sprang er im Anschluss auf und drehte sich wie vom Blitz getroffen zu Thomas um. „Das wird die Schlagzeile und ich will, dass es so aussieht, als käme es direkt aus dem Herzen der ganzen Kacke, hörst du?“ Warners Augen begannen zu funkeln und Thomas bemerkte Übelkeit seine Kehle hinaufwandern, die sich genauso drückend auf seinen Geist legte, wie das verhangene Wetter außerhalb. Zack Warner war mehr als Suzie Ines je hätte denken können, denn vermutlich bekam sie in den folgenden Minuten genauso ihr Fett weg, wie viele andere. Er war ein Arsch und was kommen würde die Hölle auf Erden. Und er hatte sich ausgerechnet Thomas ausgesucht, um seinen Plan zu verwirklichen. Oh, Connecticut. Wie gerne er jetzt dort wäre…
Tia Bibra
Schreibe einen Kommentar