Er hatte keinen Namen. Er hatte keine Vergangenheit. Er war der Schatten, der kam und ging, wann immer er gebraucht wurde. Manche nannten ihn den Todeshauch. Aber er bevorzugte es, keinen Namen zu haben.

Das Raumschiff New World begann mit dem Andocken an die Raumstation Theia. Der Raum wackelte, es krachte kurz. Er hielt die Luft an, doch dann war alles still. Mit einem kurzen Handgriff in seinen Anzug versicherte er sich, dass es noch da war.

War es.

Die Luftschleuse öffnete sich. Zwei Stationswächter, in einer Uniform, die mehr einer Rüstung glich, kamen hindurch. In der Hand trugen sie einen langen schwarzen Stab, an dessen Ende eine rote LED blinkte.

Der Scanner. Es gab Gerüchte darüber, dass der Scanner durch den ganzen Körper hindurchsehen konnte, dass ihm nichts verborgen blieb. Das waren Lügen. So hatte ihm zumindest sein Auftraggeber versichert.

Trotzdem, jetzt wo sich die Wächter näherten, spürte er einen Schweißtropfen über sein Gesicht laufen. Er widerstand dem Drang, ihn wegzuwischen, stand weiter steif da.

»Irgendwelche verbotenen Gegenstände dabei?«, fragte der linke Wächter. Seine Stimme klang kalt und tief.

Der Todeshauch schüttelte den Kopf. Auf das Nicken des Wächters hin streckte er seine Arme vor.

Der Wächter fuhr mit dem Scanner über seinen Körper. Als er an der Stelle angekommen war, an dem es sich befand, hielt der Todeshauch den Atem an. Eine falsche Bewegung und er war tot.

Sein Auftraggeber hatte ihm gesagt, dass der Scanner kein Glas erkennen konnte. Es war praktisch unsichtbar für ihn. Und alles, was sich dahinter befand.

Der Wächter führte den Scanner weiter, nichts geschah. Der Todeshauch atmete wieder. Schnell war die Routine durchgeführt und er konnte die Raumstation betreten.

Er griff unauffällig an die Stelle in seinem Anzug, an der es sich befand. Es war noch da, natürlich.

Theia war von Menschenmasse nur so überfüllt. Pilger aus hunderten System kamen an diesen Ort, um ihren Gott anzubeten. Den Gott, den er heute töten würde.

Die Pilger waren leicht zu erkennen. Sie alle trugen weiße Gewänder, wirkten völlig fehl am Platz inmitten der anderen Arbeiter in ihren schweren, dreckigen Overalls und den reichen Touristen in den extravaganten Kleidern.

Er schob sich durch eine Gruppe von Pilgern hindurch, die vor einem Gemälde des Gottes standen. Sie hatten die Hände zum Beten verschränkt, die Augen geschlossen.

Marai, thei, epaine marai, khun nomen ushaio.

Immer wieder murmelten sie diesen Vers. Den Vers aller Gläubigen.

Niemand beachtete ihn, wie er in diesem Moment eine Schleuse öffnete. Den Code hatte ihm sein Auftraggeber genannt. Woher er diesen hatte, hatte er nicht verraten.

Aber es funktionierte. Die Schleuse öffnete sich. Wie ein Schatten huschte er hindurch, warf einen letzten Blick auf die Wächter zurück. Ihre Augen waren auf die Pilger gerichtet.

Die Schleuse schloss sich hinter ihm wieder. Er blickte sich um. Der Gang, in dem er stand, war vermutlich ein Wartungstunnel. Dicke Kabelstränge führten an den Wänden und der Decke entlang.

Er setzte sich in Bewegung. Seine Schritte hallten, die Wände warfen das Echo zurück. Aber davor hatte er keine Angst.

Nach fünf Minuten hatte er das andere Ende des Ganges erreicht. Hinter einer weiteren Schleuse lagen die Gemächer des Gottes.

Erneut tippte er den Code in das Zahlenfeld, den ihm sein Auftraggeber genannt hatte. Eine Sekunde später öffnete sich die Schleuse. Er trat hindurch …

… in eine völlig andere Welt.

Alles hier war völlig dunkel. Das einzige Licht kam von der Schleuse. Gerade wollte er sich umdrehen, da schloss sie sich wieder. Der letzte Lichtschein verschwand, totale Dunkelheit umgab ihn.

Er griff nach der Phiole aus Glas, bereit, sie jeden Moment zu öffnen.

»Todeshauch.«

Die Stimme kam von irgendwo aus dem Raum, er konnte nicht ausmachen, wo sich die Person befand. Instinktiv griff er die Phiole fester, seine Finger bereits an der Öffnung.

»Du bist also wirklich gekommen.« Erneut konnte er die Position des Sprechers nicht ausmachen.

»Wer ist da?«, fragte er schließlich.

Lange Zeit herrschte Stille. So lange, dass er sich fragte, ob die andere Person überhaupt noch in diesem Raum war.

»Ich bin dein GOTT.« Die Stimme schwoll an, kam jetzt aus allen Seiten, tief und dröhnend.

Dann war er also hier. Der falsche Gott. Den er heute umbringen würde.

»Wo bist du?«, rief er in die Dunkelheit hinein. »Komm heraus und versteck dich nicht!«

Ein Lachen. Es klang, als käme es von hinter ihm. Instinktiv drehte er sich um, erwartete einen Angriff. Doch es kam nichts.

»Warum?«, dröhnte die Stimme. »Glaubst du, das Gas in der Phiole kann einen GOTT töten?«

Der Todeshauch zuckte zusammen. Das hier war eine Falle, von Anfang an geplant.

»Wer war der Auftraggeber?«, fragte der Todeshauch.

»ICH. DEIN GOTT.« Die Stimme war jetzt ganz nah und trotzdem kam sie aus allen Richtungen.

Er zögerte keinen Moment, öffnete die Phiole. Vielleicht konnte er keinen Gott damit töten, aber er würde sterben. Der Gott könnte nicht an ihn herauskommen.

Das Gas entwich aus der Phiole, stieg in seine Nase. Natürlich konnte er es nicht riechen, es war geruchslos. Wie viele Menschen hatte er schon mit einem Hauch dieses Gases umgebracht?

Was für eine Schönheit lag darin, dass nun auch er dadurch sein Leben beenden konnte!

»Das wird dir auch nichts bringen«, sagte der Gott plötzlich und diesmal klang es, als ob er direkt neben ihm stand.

Der Todeshauch streckte seine Hand nach vorne aus und auf einmal umschlossen Hände seinen Arm, rissen ihn zur Seite. Die Phiole fiel aus seiner Hand, er hörte sie über den Boden kullern.

»Ich bin dein Gott. Und ich erlaube dir nicht, zu sterben.«

Der Todeshauch sog gierig die Luft ein. Das Gas musste schon längst in seinen Lungen sein, es war viel zu spät. Der Gott würde ihn nicht bekommen. Nein, das würde er nicht.

Er spürte, wie etwas ihm die Luft abschnürte. Es fühlte sich an, als ob jemand seine Kehle umklammerte. Das Gas wirkte.

»Ich entkomme dir«, wollte er schreien, aber das konnte er nicht mehr.

»Glaubst du wirklich, das Gas in der Phiole kann einen GOTT aufhalten. Du Narr!«

Mit einem Mal löste sich der Griff, Luft strömte in seinen Lungen zurück. Wie konnte das sein? Wie konnte das Gas aufhören zu wirken? Das hatte es noch nie, nicht in den ganzen letzten zwanzig Jahren, in denen er es benutzte.

»Gegen einen Gott ist jedes Gift in diesem Universum machtlos.«

In diesem Moment offenbarte sich ihm der Gott. Wie als ob sich ein Schleier von seinen Augen löste. Mit einem Mal konnte der Todeshauch durch die Dunkelheit SEHEN. Da war kein Licht, nein, der GOTT war das Licht. Er durchdrang alles, jeden Gegenstand, jeden Körper, die ganze Raumstation. Der Todeshauch sah jetzt alles. Jeden einzelnen Gegenstand, er konnte durch jeden Menschen in der Station hindurchblicken. Er war in diesem Moment der Scanner. Aber er konnte noch viel weiter sehen, über die Raumstation hinaus, durch die Atmosphäre des Gasriesen, um den sie kreisten. Er konnte jedes einzelne der Moleküle sehen, sogar jedes einzelne Atom.

»Von nun an wirst du mir dienen.« Die Stimme kam von überall und das war auch wahr. Denn der Gott war überall.

In diesem Moment wusste er, dass er dem Gott überall hin folgen würden. Und dass er zu seinem fanatischen Diener werden würde, bereit, alles zu tun, was von ihm verlangt werden würde.

Er war als neuer Mensch geboren.

»Von nun an wirst du Gotteshauch heißen.«

Fortsetzung folgt.

Teil 1 von 8

niklasatw