Kian

Alles fing mit diesem dummen Karaoke-Abend an. Normalerweise wäre ich niemals dorthin gegangen. Aber Aaron nervte mich tagelang vorher.

»Komm schon, Kian. Bist du schüchtern?«

Irgendwann stimmte ich dann zu.

Schon als wir durch die Station laufen, rumort mein Magen. Das Einzige, was mich davon abhält, einfach zurückzulaufen, ist Aaron, der meine Hand hält.

Es ist das fünfzigste Jubiläum der Gründung der interstellaren Föderation. Die Gänge der Station sind völlig überlaufen, Menschen in bunten Verkleidungen eilen an uns vorbei.

Ich trage irgendeinen glitzernden Anzug, an dem LEDs wild funkeln. Ich finde, es sieht lächerlich aus, aber Aaron mag es.

Er trägt einen schwarzen, eleganten Anzug mit einem Zylinder. Irgendwie steht ihm das, obwohl es so gar nicht seine normale Kleidung ist. Ich wünschte, wir könnten unsere Kostüme tauschen.

Eine Frau rempelt mich aus dem Nichts von der Seite an. Ich taumele, verliere beinahe das Gleichgewicht. Im letzten Moment kann Aaron mich aufhalten, zu fallen.

Einen kurzen Moment genieße ich die Berührungen seiner Hände.

Aber schon nach wenigen Sekunden ist das prickelnde Gefühl verschwunden. In letzter Zeit kommt das häufig vor.

»Danke«, murmele ich.

Wir gehen weiter, oder besser gesagt, kämpfen uns durch die Menge hindurch und endlich erreichen wir die große Halle.

Man hört die Musik schon von weitem, laut und dröhnend. Nicht gerade meine Art von Musik, aber was solls. Eigentlich ist es mir egal.

Der ganze Raum ist von Nebel durchzogen. Grelle Lichter strahlen in allen Farben, wechseln regelmäßig.

»Komm«, sagt Aaron zu mir, zieht mich ins Getümmel.

Wir tauchen ein in die Menschenmenge. Ein Roboter bringt uns Getränke, ich greife zu, ohne hinzuschauen, worum es sich handelt.

»Toll hier, oder?«, sagt Aaron.

Ganz toll, denke ich mir, schaue mich im Raum um.

Ich wäre jetzt so viel lieber woanders. Bei jemand anderem.

Vielleicht sollte ich wirklich mit Aaron Schluss machen.

»Hey!« Eine Stimme lässt mich herumfahren. Eine sehr bekannte Stimme.

Ich starre direkt in Ezras Gesicht. Er trägt einfach nur ein normales T-Shirt, im Gegensatz zu all den extravaganten Kostümen um uns herum. Verdammt, was macht er hier?

Mein Herz schlägt unwillkürlich schneller, ich drehe mich zu Adrian um, doch der passt gerade nicht auf.

»Was machst du hier?«, flüstere ich.

Ezra schaut mich fragend an, zeigt dann auf sein Ohr. Na klar, durch die Musik kann man fast nichts verstehen.

Wieder drehe ich mich zu Adrian herum. Er quatscht gerade mit einer anderen Person. Ich muss hier weg, bevor er mich und Ezra zusammen sieht.

Wortlos packe ich Ezra am Arm, ziehe ihn weg, durch die Menschenmasse hindurch zum Ausgang des Raumes. Wir verlassen den Raum. Hier auf dem Gang ist noch immer viel Trubel, aber immerhin kann man sich unterhalten, ohne sich gegenseitig.

»Was machst du hier?« Ich blicke Ezra an. Irgendwie sieht es nicht so aus, als hätte er geplant, hierherzukommen. »Du hast mich doch gefragt, ob wir …«

Ich kann nicht mal ausreden, da lehnt sich Ezra vor und küsst mich. Seine Lippen sind weich. Ich ziehe ihn näher an mich heran, streiche durch sein lockiges Haar.

»Ich wollte dich sehen«, haucht Ezra, dann küsst er mich erneut.

Diesmal bin ich es, der sich von ihm löst. »Verdammt, wenn mein Freund uns beide zusammen sieht, bin ich echt geliefert.«

»Du bist süß, Kian, wenn du dir so viele Gedanken machst.«

Wieder beugt er sich vor, will mich küssen, aber dieses Mal weiche ich zurück. »Das reicht jetzt echt. Was, wenn uns beide jemand sieht?«

»Du Feigling«, sagt Ezra. Dann beugt er sich plötzlich wieder vor. Diesmal weiche ich nicht zurück, lasse es geschehen.

Aaron

Verdammt, wo steckt er bloß? Mein Blick wandert durch den Raum. So viele bunte Kostüme, so viele Leute. Was hat er mir gesagt?

»Ich komm und treff dich an der rechten Seite der Bühne.«

Tja, jetzt stehe ich hier und keiner ist da.

Kian ist auch irgendwohin verschwunden. Wahrscheinlich hat er nicht so wirklich Lust auf das hier. Ich wollte eigentlich einen tollen Abend mit ihm verbringen, nochmal unsere Beziehung reparieren. Obwohl ich mir jetzt nicht sicher bin, ob es da noch etwas zu reparieren gibt.

Irgendwie fühle ich mich schlecht, dass ich ihn ganz alleine lasse.

Mein Blick gleitet auf meine Uhr. Verdammt. Er wollte doch schon vor zehn Minuten da sein.

Vielleicht ist irgendetwas passiert.

Mein Transponder hat keine neuen Nachrichten empfangen.

Nach weiteren fünf Minuten Rumstehen halte ich es nicht mehr aus. Ich schiebe mich zurück durch die Menschenmenge, steuere auf den Ausgang zu. Jemand rempelt mich von der Seite an, mault mich kurz an. Ich ignoriere ihn. Idiot.

Endlich erreiche ich den Ausgang. Die Musik hier ist nicht mehr so laut und dröhnend, die Menschenmasse nicht so erstickend.

Ich trete gerade aus dem Raum, als mein Blick auf …

»Ezra?«

Die Frage ist meinem Mund entwichen, bevor ich sie zurückhalten kann.

Er steht mit dem Rücken zu mir und küsst gerade einen anderen Typen.

Ezra dreht sich zu mir, offenbart den Blick auf den anderen Typen.

»Kian?«

Kian

Ich starre in Aarons starrende Augen. In meinem Kopf herrscht gerade totales Chaos.

Scheiße. Was mache ich jetzt? Warum kennt er Ezra? Woher? Weiß er schon länger von uns?

»Was?«, fragt Ezra plötzlich. »Ihr kennt euch?«

»Wir sind zusammen«, sagt Aaron. Er klingt erstaunlich gelassen dafür, dass ich gerade mit jemand anderem rumgeknutscht habe.

Ezras Kinnlade klappt förmlich herunter. Okay, verständlich, meine ist auch kurz davor.

Ich blicke wieder zu Aaron. »Warte, was geht hier eigentlich ab? Woher kennst du Ezra?«

»Was geht hier ab?«, äfft er mich nach. »Das frage ich mich gerade auch.«

Seine Stimme ist scharf, sie versetzt mir einen Stich. Ich bin ein scheiß Freund.

Ich blicke zu Ezra. Er weicht meinem Blick aus. Was ist los mit ihm?

»Woher kennst du Ezra?«, frage ich erneut Aaron.

»Warum habt ihr euch geküsst?«

Ich blicke zu Boden, schlucke. Diese Beziehung ist sowieso schon ruiniert. Was soll jetzt noch schiefgehen? »Weil ich unsere Beziehung beenden wollte.«

Eine Weile herrscht Schweigen. Aaron schaut mich einfach nur an. Ich kann seinen Blick nicht deuten. Ist er sauer? Ist er verletzt?

»Ich wollte es auch«, sagt er plötzlich.

Beinahe verschlucke ich mich. »Was?«

»Ich wollte unsere Beziehung beenden. Aber wie es aussieht, willst du nicht nur unsere Beziehung ruinieren, sondern auch meine nächste.«

»Was soll das hei–« Die Erkenntnis schießt förmlich durch mein Hirn. Ich schaue zu Ezra, der schon wieder meinem Blick ausweicht, und plötzlich ist mir alles klar.

»Fuck, ihr beide …« Ich breche meinen Satz ab, drehe mich um und stürme davon.

»Warte, Kian!« Jemand packt mich am Arm, es ist Ezra.

»Lass mich los, Arschloch.« Ich spucke ihm die Worte förmlich entgegen. »Wie lange läuft das schon, hm? Wen von uns beiden hast du zuerst gedatet? Fandest du das toll? Uns zu verarschen?«

»Ich wollte nicht …«, stammelt Ezra.

»Verpiss dich aus meinem Leben«, zische ich, dann renne ich.

Ich bin kaum hinter der nächsten Ecke, da laufen die Tränen über mein Gesicht. Ich heule im Rennen, halte nicht an, bis ich mein Stationszimmer erreiche.

Dort schmeiße ich mich aufs Bett. Weinen kann ich nicht mehr, es kommen keine Tränen mehr. Dafür schmerzen meine Augen, ich sehe bestimmt aus wie ein Zombie.

Ich schluchze trotzdem weiter. Irgendwann klopft es an meiner Tür, aber ich öffne nicht. Jemand ruft etwas. Ist das Ezra? Oder Aaron? Ich weiß es nicht und es ist mir auch egal.

Mir ist jetzt alles egal.

niklasatw