Meine Autoreifen zerknirschten den Schnee auf dem Parkplatz. Als ich ausstieg, sagte mir schon der Gegenwind, ich sollte besser wieder umkehren. Aber die Arbeitswoche in der Kanzlei war besonders stressig gewesen und den gemeinsamen Freitagabend hatten wir schon wochenlang geplant. Mühsam hievte ich den Kasten Bier aus dem Kofferraum, während das warme Licht, welches aus Alex Wohnzimmerfenster schien, die Wohnung wie ein Ofen ausschauen ließ. Sie wohnte zwar im Erdgeschoss des Wohnungskomplexes, aber ich konnte nicht erkennen, ob die anderen schon eingetroffen waren. Die Kälte biss mir allmählich in die Finger, also klingelte ich rasch. Alexandra Vasileiou las ihr Klingelschild und ich schaute in die Kamera der Fernsprechanlage, während die Kälte versuchte, mich an Ort und Stelle festzufrieren, mich ja vom Eingehen abzuhalten. Ich wartete eine Weile und es schien so, als würde die Kameralinse zurückstarren, wie eine misstrauische Person einen Fremden beäugt.
Ohne ein Wort aus der Anlage entsperrte sich die Eingangstür zum Treppenhaus und ich stieß sie mit meiner Hüfte auf. Am Ende des Flurs stand sie schon im Türrahmen. Ihre sonst aufgesteckten, braunen Haare hingen ihr nun in heftigen Locken bis zur Brust. Ihre sonst professionelle Kleidung wurde ersetzt durch eine lockere, schwarze Jogginghose und ein T-Shirt von Nirvana. Es war seltsam, sie so zu sehen, eigentlich kannte ich sie nur in ihrer Arbeitskleidung. Und geschminkt.
Ich trat mit dem Bierkasten in der Hand näher und begrüßte sie.
„Hey. Sind die anderen schon da?“
„Schön dich zu sehen Ryan. Nein, die anderen sind noch nicht da. Kommen bestimmt gleich.“
Ich betrat ihre Wohnung, zog meine Schuhe aus, stellte den Kasten ab und wir umarmten uns ordentlich. Sie wirkte so klein und süß in meinen Armen und wir umschlossen uns länger als freundschaftlich. Um ihren Hals bemerkte ich die Kette, die ich ihr einst geschenkt hatte, und ich fühlte mich mehr als willkommen. Ich fühlte mich gewollt.
„Was hast du denn für uns geplant?“, sagte ich mit einem kleinen Lachen.
Ein anthrazitfarbenes Ecksofa blickte in Richtung eines Flachbildfernsehers, an welchem eine Wii Konsole verknüpft war. Drei Fernbedienungen der Konsole lagen auf der Couch und ein Mikrofon. Der Bildschirm las „Karaoke Revolution“.
„Ein Karaokeabend?!“, sagte ich, während sich ein Schmunzeln über mein errötetes Gesicht breit machte. Ein Sänger bin ich genauso, wie der Himmel grün ist. Allein bei dem Gedanken, vor meinen Freunden und -noch schlimmer – vor Alex zu singen, verdrehte es mir den Magen. Ich hatte alles dafür getan, intim mit ihr zu werden; mein Ansehen bei ihr zu verlieren, würde uns beiden nur einen Strich durch die Zukunft machen.
Sie lachte. „Ja. Mal was Gewagtes. Aber keine Sorge, sobald alle etwas getrunken haben, wird es schon nicht so schlimm.“ Ihr Blick richtete sich kurz auf die Uhr, welche in der Küche hing, und legte nach: „Adrian sollte bestimmt gleich eintreffen und außerdem habe ich noch eine Freundin –“ Die Türklingel unterbrach sie.
Sie lies die neu angekommenen Gäste herein, während ich mir ein Glas Wasser in der Küche einschenkte. Hinein trat Maya. Mein Herzschlag stoppte für einen Moment. Ihre hellblauen Augen stachen durch den Raum und trafen direkt auf meine. Ihr blondes, glattes Haar hatte sie zu einem Dutt zusammengebunden und um ihren Hals hing eine Kette, die ich an dem heutigen Abend schonmal gesehen hatte. Und Alex auch. Sie haftete wie hypnotisiert mit ihrem Blick auf der Kette, die um Alex Hals hang.
„Ich muss mal schnell auf Toilette“, sagte ich hastig und lief davon.
Die Tür fix hinter mir geschlossen konnte ich meinem Spiegelbild kaum in die Augen schauen.
Aus dem Wohnzimmer hörte ich die beiden Frauen sprechen.
„Hey du hast ja dieselbe Kette wie ich. Was für ein Zufall. Wo hast du die denn her?“
„Die hatte mir Ryan geschenkt, als er mich in die Weinberge ausgeführt hat und wir –“
Ich drehte den Wasserhahn auf, um die Stimmen zu ersticken. Das Einzige, was mich noch vor dem Urteil der Anwältin Vasileiou beschützen konnte, war die Tür. Mein Herz raste und ich verstand zum ersten Mal, wie sich ein Angeklagter fühlen muss, der auf seine Gerichtsverhandlung wartet. Und das Urteil wäre bestimmt düster gewesen. Den Wasserhahn abgestellt, herrschte erdrückende Stille und mein Herz klopfte so fest, als würde es meinem Brustkorb entkommen wollen, um der Schuld durch Assoziation zu entkommen. Da erblickte ich das Fenster im Badezimmer. Es lies sich öffnen und ich erinnerte mich, dass Alex im Erdgeschoss wohnt.
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