Visions weißgelbe Synthezoidaugen glitten ein letztes Mal prüfend über die akkurat platzierten Möbel des Wohnbereichs. Er wollte unbedingt verhindern, gleich beim ersten Besuch der neuen Nachbarn einen falschen Eindruck zu hinterlassen. Angekündigt hatten sich George und Nora nicht, doch wusste Vision ganz genau, dass sie in wenigen Augenblicken mit gut riechendem Gebäck vor seiner Haustür stehen würden. Tatsächlich hatte er es schon Minuten zuvor gewusst, als Nora gerade dabei war, die Muffins aus dem Ofen zu holen und George sich die Schuhe zuband, während er auf der dritten Treppenstufe in seinem Eingangsbereich saß. Visions Gehör war tausendmal besser, als das von jedem Menschen, seine Augen tausendmal präziser, so dass er die Staubpartikel, die von seinen neuen Möbeln emporgestiegen waren, auf ihre genauste Zusammensetzung hin hätte untersuchen können, ohne sich auch nur einen Millimeter von seiner jetzigen Position weg zu bewegen. Doch er tat es nicht. Auch seine Frau Virginia und seine Kinder Viv und Vin taten es nicht. Sie waren ebenso wie er Androiden, geformt aus seinem Ebenbild, seinen Schaltkreisen sozusagen. Nur Virginia hatte einen Tatsch von Vandas gespeicherten Gehirnmustern bekommen, um ihr zumindest in einigen wenigen Zügen zu gleichen und auch menschlicher in ihren Empfindungen zu sein. Vanda war Visions große Liebe gewesen, doch hatte sie ihn betrogen und manipuliert. Einer der vielen Gründe für ihn, den Avengers und auch ihr den Rücken zu kehren und sich hier in Fairfax, Virginia, USA mit einer neuen Familie ein neues Leben aufzubauen, so normal, wie das eben möglich war.

Im nächsten Moment hörte er, wie das Gartentürchen leicht quietschend ins Schloss fiel und George, gefolgt von seiner Frau, die wenigen Schritte zur neu gestrichenen Haustür der Visions absolvierte. Virginia, die Kinder und Vision selbst warteten regungslos, ohne mit einer Wimper zu zucken oder einen mechanischen Atemzug zu tun, im Eingangsbereich, bis der neue Nachbar die Klingel betätigte. Virginia sah zu Vision, welcher nur einmal kurz nickte, auf dem Absatz kehrt machte und begann, bis sieben zu zählen. In der Regel, das hatte er aus seinen jahrelangen Studien bei den Avengers unter Hank Pym und Toni Stark gelernt, brauchte ein Mensch, der nichts tat außer Warten, etwa sieben Sekunden, um einem Gast die Tür zu öffnen. Und da er eben genauso normal wie jeder andere sein wollte, brauchte auch er etwa sieben Sekunden, bevor er mit seiner kalten menschlich aussehenden, aber nicht seienden Hand die ebenso kalte Klinke der Haustür nach unten drückte und mit einem leichten freundlichen Grinsen George und Nora entgegentrat.

„Hallo. Schönen guten Tag. Wir sind ihre Nachbarn aus dem Haus hier gleich links nebenan. Mein Name ist George und das ist meine Frau Nora. Wir dachten, wir heißen sie einmal herzlich bei uns in der Nachbarschaft willkommen.“ George hatte einen freundlichen Gesichtsausdruck aufgesetzt. Seine ergrauten Haare lagen akkurat an seinem Schädel und sein moderner Anzug passte ihm wie angegossen. Seine linke Hand hatte er sacht an den oberen Rücken von Nora gelegt, welche ebenso nett den Visions entgegen lächelte, während sie ein Tablett frisch duftender Blaubeermuffins in den Händen hielt.

„Ebenso einen schönen guten Tag“, erwiderte Vision. „Das ist aber sehr nett von Ihnen. Wir sind die Visions.“ Gerade, als er seine bereits mehrmals geübten Worte überzeugend vortrug, trat Virginia an ihm vorbei und nahm Nora die Muffins vorsichtig aus den Händen. „Darf ich Ihnen meine Familie vorstellen? Das ist meine Frau Virginia und hier haben wir unsere Zwillinge Viv und Vin.“ Vision trat einen Schritt zur Seite, sodass George und Nora einen Blick auf die Kinder erhaschen konnten, die immer noch auf ihren Plätzen standen und sich keinen Zentimeter bewegt hatten, seit ihnen aufgefallen war, dass Besuch nahte. „Hallo, schön, Sie kennen zu lernen und vielen lieben Dank für die Muffins. Die duften ja herrlich!“, entgegnete Virginia den neuen Bekannten, während die Zwillinge beinah gleichzeitig nur ein gequält wirkendes „Hallo“ aus sich herausbekamen. Für eine Sekunde überkam Vision ein Gefühl von Missmut darüber, dass sie nicht wie er leicht, locker und vor allem menschlich an dem neu entstandenen Gespräch teilnahmen, sondern noch recht unerfahren im Umgang mit den Humanoiden wirkten, was natürlich auch der Fall war. Denn obwohl die beiden wie Teenager aussahen, waren sie und auch Virginia doch erst wenige Tage alt und kannten nichts weiter, als diese neuen vier Wände und ihre Kleidung, die sie an sich trugen. Vision war sich aber sicher, dass sie es schnell lernen würden. „Die habe ich nach einem alten Familienrezept gebacken. Ich dachte, das wäre doch eine schöne Geste so für den Einstieg“, entgegnete Nora Virginias Feststellung, während sie freudig zu ihrem Mann sah, der zustimmend nickte. „Dürften wir Sie hereinbitten? Wir waren gerade dabei, Kaffee aufzusetzen.“ Vision machte eine ausfahrende Handbewegung und deutete George und Nora einzutreten. „Sehr gerne.“ Erwiderte der Ehemann und die Visions machten ihm Platz, sodass er, gefolgt von seiner Frau, in den Hausflur treten konnte. Für einen Augenblick bildeten sich in Virginias Gesicht Fragezeichen, doch hatte sie schnell verstanden und eilte, für Visions Geschmack etwas zu schnell und zielstrebig, in Richtung Küche, um den eben erwähnten Kaffee so aufzusetzen, wie er es ihr erklärt hatte. Der ehemalige Avenger wiederum entspannte sich nun, da die ersten Floskeln ausgetauscht waren, etwas und bemerkte, dass es ihn eigentlich recht freudig stimmte, neue Menschen kennenzulernen, die nichts mit den vergangenen Geschehnissen, Vanda oder Ultron zu tun hatten, die einfach ganz normal waren. Im nächsten Moment setzten sich auch die Zwillinge in Bewegung und folgten George und Nora in den Wohnbereich, während Vision die Haustür schloss. „Wow. Sie haben da ein sehr schön eingerichtetes Haus Herr … Vision?“ George sah ihn an. Vision lächelte. „Ja, ich bin sehr stolz. Vor allem auf das ein oder andere Sammlerstück aus meiner Zeit bei den Avengers.“ Er trat an den neuen Nachbarn vorbei und deutete auf eine Art Hyperschraubenschlüssel, den er von Toni Stark bekommen hatte. George nickte beindruckt. „Ja, Sie haben da einiges erlebt, nicht wahr? Man hat so manches gehört aus New York und diesem neuen Staat in Afrika.“ Virginia hatte währenddessen den Kaffee auf einem Tablett in den Wohnbereich gebracht und stellte das Kaffeeservice ordentlich und akkurat auf den Couchtisch. „Mögen Sie Zucker oder Milch in ihrem Kaffee, Nora? Wenn Sie möchten, können wir auch gleich beim ‚Du’ bleiben.“

„Oh ja, sehr gerne, Virginia“, äußerte die Nachbarin und setzte sich zu dieser auf die große, neue und hochmoderne Couch mit ausfahrbarem Fußtritt. Die Zwillinge hatten sich derweil in die Sessel gesetzt und spielten an ihren Handys. „Um auf Ihre Bemerkung von eben zurück zu kommen, George. Sie meinen sicherlich Wakanda. Ich kenne den König persönlich und habe von ihm diesen saitenlosen Steinway geschenkt bekommen.“ Vision war froh darüber, sein neues Haus den Nachbarn so zeigen zu können, wie es andere auch taten, die frisch umgezogen waren. „Schatz? Setzt ihr euch zu uns?“, fragte Nora George und beide Männer begaben sich sogleich zu ihren Frauen an den Couchtisch. Obwohl die Visions weder Essen noch Trinken zum Überleben brauchten, nahmen Virginia und Vision jeweils beide einen großen Schluck von dem bitter schmeckenden, für manche Menschen süchtig machenden Getränk und versuchten den Nachbarn zuzuhören, wie sie über diverse Ereignisse ihres gestrigen Tages sprachen. Vision bemerkte, dass er anfing, sich in der neuen Umgebung wohl zu fühlen und freute sich immer mehr darauf, weitere neue Bekanntschaften zu knüpfen und seinen Alltag mit seiner eigenen ganz normalen Familie zu leben, wie er es immer gewollt hatte.

Tia Bibra