Envy is the tie that binds, and binds, and binds …
Helen Rowland
Es war einmal, an einem Ort ewigen Zwielichts, abseits der Zeit, der Erde nicht allzu fern, da lebten sieben Geschwister. Sie trugen die Namen Hokori, Netami, Yokubo, Ikari, Donyoku, Okui und Taida.
Netami, ein unscheinbares Wesen, mit matten Kieseln als Augen und Spinnwebenhaar war die Jüngste der Geschwister. Stets folgten ihre leeren Blicke den anderen sechs und jedes einfallende Bild schien bunter und leuchtender, wenn es auf das stumpfe Grau ihrer Augen traf. Mit der größten Freude und gleichzeitig schmerzlichsten Qual heftete sie ihren Blick eines Tages auf die Schwester Hokori. Zu ihr gesellt hatte sich Yokubo, das Geschwisterkind, dem Netami für gewöhnlich aus dem Weg ging. Androgynität bereitete ihr Unbehagen. Die in Yokubo vereinte Gegensätzlichkeit weckte ein zwiespältiges Begehren in ihr, dass sie nicht auszuhalten vermochte. Zwei Wunschrosen sprossen in ihrem Inneren, die sich fortwährend an den Dornen der jeweils anderen zerfetzten. Oft genug hatte sie sich danach verzehrt, beides zu besitzen und war daran zerbrochen, nichts zu bekommen, sodass sie gelernt hatte, Yokubo zu fürchten.
Doch als die Schicksalsfrauen ihre Kiesel rollten und Netamis Blick auf die Verbindung ihrer Geschwister lenkten, so kam sie nicht umhin, sich in ihrem Dunkel nach dem Licht zu sehnen.
Versunken in das Tauziehen von Versuchung und Hingabe umschwärmten die Geschwister sich, einander umgarnend im Balztanz. In ihrer Beobachtung deutete Netami Yokubos Avancen als Privileg an ihre Schwester. Dabei waren für Yokubo alle Körper gleich. Hokoris stürmische Einwilligung verstand Netami als Zuneigung an ihr Gegenüber. Dabei war es Hokoris grenzenlose Vernarrtheit in sich selbst, die jedem Kompliment ein prächtiges Portal öffnete und alle Zweifel vor der Tür vergeblich betteln ließ. Netami sah eine Symbiose und schloss auf Liebe. Dabei hätte sie wissen müssen, dass ihre Geschwister dazu genauso wenig fähig waren, wie sie selbst.
Und in Netami wuchs etwas heran, das hässlicher war als Alles, was je gewesen war. Ein dunkler Quell brach sich Bahn in ihrem Inneren, erst langsam tröpfelnd, dann immer mehr Flut. Er durchspülte ihre zitternden Glieder und troff aus ihren Poren. Er stieg ihr bis zum Hals, verschloss ihre Kehle und machte ihre Zunge taub, für alle Geschmäcker außer der bitteren Süße verbotener Früchte. Jede Berührung von Yokubos Haut auf Hokoris brannte auf Netamis Körper gleich glühenden Eisen, die die Spuren der zärtlichsten Liebkosungen nachzeichneten. Jeder Blick, den die beiden einander schenkten, weckte in Netami den Wunsch, gesehen zu werden, wenngleich ihre Geschwister sich in Wahrheit nur in den Iriden des jeweils anderen spiegelten. Jedes Wort, das von einem Mund in den anderen geflüstert wurde, glitzerte wie sternstaubversetzter Honig, der Netami perlend durch die Finger glitt. Unfähig ihn zu kosten, auf der Suche nach dem samtenen Gold, würgte sie ihre eigene Stimme hervor. Sie war verwelkt und zerfiel zu glanzlosem Staub.
In ihrer Not wandte Netami sich an die übrigen ihrer Geschwister. Als erstes suchte sie Taida in ihrem Reich des Schlafes auf. Sie durchschritt das Tal der stehenden Uhren, wo kein Zeiger tickte, Schatten nicht wanderten und das Rieseln des Sandes ewiger Stille gewichen war. Als ihre Schritte den Stillstand mit unheiligem Takt störten, erwartete ihre Schwester sie schnurrend auf einer Chaiselongue. Mit halb geschlossenen Lidern lauschte sie Netamis Begehr und riet ihr schließlich, zu verweilen. „Begehren kommen und gehen. Lass ziehen, was von Dir erfordert, ihm nachzueilen.“ Doch wenngleich Netami sich Taidas Seelenruhe gern zu eigen gemacht hätte, trieb der Strom in ihrem Inneren sie fort, hin zum nächsten Reich ihres nächsten Geschwisterkindes.
Im Reich des Überflusses teilten die Zwillinge Donyoku und Okui sich den Thron. Zu ihren Füßen stapelten sich Abfälle und die Luft im Saal war dick vom süßlichen Geruch verlebter Freuden. Netami musste durch Berge an Gold, Knöchlein, Schätzen und Schund waten, bevor sie vor ihren Brüdern zum Stehen kam. Diener umschwirrten die beiden wie Mücken, brachten Platten voll Essen und Kostbarkeiten und türmten vor den Brüdern, sobald ihre Hände leer und schutzlos waren. Okui saß mittig auf dem Thron, die Finger vor Fett triefend. Mit geschlossenen Augen stopfte er sich Essen in seinen übervollen Mund. Schweißperlen funkelten mit dem Schmuck und den Edelsteinen um die Wette, mit denen er über und über behängt war. Jede seiner Bewegungen ließ die Kinkerlitzchen klimpern und klappern, klirren und klingen. Donyoku zwängte sich neben ihm auf die Armlehne des Throns. In dem Versuch, sich an seinem Bruder abzustützen, ihn zu überragen und das Gleichgewicht zu halten, zappelte er ungelenk umher, stets einen winzigen Fehltritt vom Fall entfernt. Er riss Okui aus den Fingern, was immer dieser zum Mund führen wollte, doch sogleich schwärmte ein Diener herbei und ersetze, was niemandem fehlen würde. Beide Brüder waren so mit sich selbst beschäftigt, dass keiner Netamis Sorgen ein Ohr schenkte. Sie verließ den Hof des Überflusses und hatte nichts gewonnen, bis auf den Wunsch, einmal von der Unersättlichkeit Donyokus getragen, so im Genuss zu schwelgen, wie Okui es tat.
Zuletzt machte Netami sich auf zu ihrem Bruder Ikari. Auf dem Weg zu ihm stahlen die Stimmen im Sand ihre Träume, malten sie schillernd und wabernd in die brennende Luft und ließen sie in zornigen Flammen aufgehen, sobald sie danach zu Greifen versuchte. Der Wind strich mit rauen Händen über ihre Haut. Seine Liebkosungen schälten Netamis Schichten, bis sie bar jeden Schutzes vor den König der Brandwüste trat. Am Ende ihrer Kräfte angekommen, flehte sie auf Knien zu ihrem Bruder, er möge sich ihrer erbarmen. Und Ikari erhörte ihr Gebet.
Als sie dem Bruder von Yokubos und Hokoris Verbindung berichtete, tobte er vor Zorn, denn auch er begehrte Hokori, die Schönste unter den Geschwistern. Das Antlitz seiner Raserei war eine Maske gewaltiger Macht und Netami sehnte sich danach, diese Maske selbst einmal zu tragen. Und so kam es, dass Ikari Netami seinen Flammendolch gab und ihr befahl, die beiden Sündigen in ihrem Spiel zu stören.
Es dauerte so lange, wie es in einem zeitlosen Reich dauern kann, bis Netami die Kreise ihrer Geschwister durchquert hatte und den Spiegelpalast Hokoris erreichte, von dessen gläsernen Wänden das Vergnügen der beiden Vereinten widerhallte. Es schien, als schenke niemand ihr Beachtung, als sie das Schlafzimmer betrat und die Sünde bei der Arbeit sah. Tatsächlich hätte es für Yokubo keinen Unterschied gemacht, mit welchem Leib die Vereinigung stattfand. Und genauso spielte es auch keine Rolle, wie viele Körper anwesend und wie viele davon in das Lustspiel eingebunden waren. Solange nur eines zustande kam. Hokori dagegen kümmerte sich sehr wohl um Netamis Anwesenheit. Doch jeder zusätzliche Blick wärmte sie wie ein himmlischer Sonnenstrahl und so räkelte sie sich nur umso bereitwilliger zwischen den Laken. Yokubos Zwitter-Anblick meidend konzentrierte Netami sich auf ihre Schwester. Die Trägheit ihrer Glieder, das ekstatische Flattern ihrer Lider, die unersättlich fordernden Lippen und jede der winzigen Gesten, mit denen sie Yokubo die Richtung wies. Und vor Netamis Augen fielen die Puzzle-Teile zu einer Wahrheit zusammen: Hokori war alles, was Netami wollte. Taidas Ruhe, Donyokus Trieb, Okuis Genuss und Ikaris Macht. All das vereinte sich in ihrer Schwester, deren Bildnis sich tausendfach von den Spiegeln auf Netami niederwarf.
Eine ungezählte Anzahl wartender Augenblicke verstrich, bevor Yokubo den Spiegelpalast verließ und Hokori in tiefen Schlaf fiel. Den Dolch ihres Bruders fest umklammert, schlich Netami zum Lager der Schwester. Mit ihrer Schönheit als einzigem Schutz lag sie nackt und wehrlos vor ihr. Netami begann die Häutung an den Fußsohlen. Die Flammenklinge des Dolches schnitt sich mühelos einen Weg und verödete alles bei Berührung, sodass kein Tropfen Blut das weiße Laken benetzte. Als sie ihr Werk beendet hatte, trug sie Hokori in einen spiegellosen Raum und verschloss die Tür, bevor ihre Schwester erwachte. Dann schlüpfte sie in ihre neue Haut und versiegelte die verräterischen Narben unter ihren Füßen. Im Spiegelkabinett stehend starrte Netami um sich her. Und aus den tausend Gesichtern ihrer Schwester starrten zwei immergleiche Kieselaugen zurück.
Gastbeitrag von Hanan El-Ashkar
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