Er fuhr sich langsam mit der linken Hand über den Mund. Sein Blick hing irgendwo in der Ferne, schien nichts und doch alles zu fokussieren, was sich außerhalb dieses Hauses abspielte. Seine Ellenbogen stützten auf der Glasplatte des Küchentischs und aus der weißen Tasse vor ihm dampfte Kaffee.
Er war am Denken.
Sie schritt langsam an der Küchentheke vorbei, die, wie der Rest des Hauses, Bauhaus angelehnt war, aber mehr weißen Marmor enthielt und Akzente durch hellblaue Schranktüren setzte. Im Gegensatz zu ihm hatte sie ihre Arme ineinander verschränkt und ihren Blick fixiert auf einen Punkt im Raum gerichtet. Mich.
Sie war nicht am Denken. Sie wusste ganz genau, was folgen würde. Ich ebenso.
Bedacht, beinah als wollte sie jedes Geräusch verhindern, das seine Gedanken stören würde, kam sie mir immer näher. Passierte ihn und den Glastisch, schritt selbst um das Sofa, bis sie neben mir Platz nahm.
Ihr Parfüm nahm sogleich die Luft um uns ein wie Klatschmohn ein frühsommerliches Feld Ende Mai. Ihr Blick musterte meine Züge. Ich hoffte inständig, dass keine in mir kämpfende Emotion den Weg in meine Augen gefunden hatte, denn so gut, wie sie war, erkannte sie jede noch so kleine Regung in ihnen, selbst, wenn ich, von ihr weggedreht, an eine Wand starren würde.
Ich war nicht fähig zu Denken.
In der nächsten Sekunde glitt ihre kalte Hand blitzschnell, zu schnell für diesen starren Moment, über meine Wange. Ein wimmernder Atemzug entfuhr mir und ich schloss meine Augen. Jede folgende Sekunde, die ich ihre Nähe an meinem Körper spürte, verging in Zeitlupe. Ich konnte beinah sagen, wie weit ihre weichen Lippen von den meinen entfernt waren, ohne es wirklich zu wissen.
Sie platzierte ihren sanften Kuss in dem selbem Moment, in dem er von seinem Stuhl hochschnellte. Wenige Schritte reichten ihm und er stand hinter dem großen Sofa, stütze seine großen Hände auf die Lehne.
„Egal, wie es weiter geht, es hat sich alles geändert. Wenn irgendwer hiervon erfährt … Das darf nicht sein. Nicht jetzt. Nicht, wenn es gerade so gut läuft.“
Der raue Unterton in seiner Stimme erstickte auch die letzten positiven Gedanken in meinem Kopf. Was hatte ich nur angerichtet?
Nein. Was hatten wir nur angerichtet?
Ich sah auf, sah ihn an, direkt in seine starrenden Augen, die nun auch ein Ziel ausgemachten. Mich.
Dann folgte wieder Stille. Ihr Blick fuhr noch immer prüfend über mein Gesicht. Sie schien einfach nicht davon ablassen zu können. Nach einigen kaum hörbaren Atemzügen wanderten ihre Augen zwischen mir und ihm hin und her. „Ich will. Ich will, was auch immer ist.“
Er hob seine Hand und fuhr ihr sacht, beinah zu sacht für seine starke Präsenz, übers Haar.
Ich beobachtete, wie sie unter seiner Berührung zu lächeln anfing, sich ihm entgegen lehnte, mehr davon verlangte, wie sie sich freiwillig dem Gefühl ergab, das er merkbar bei ihr auslöste, das sie merkbar bei mir auslöste, bis er seine Finger wieder auf die Sofalehne sinken ließ. Der Moment, so fordernd er auch war, begann in meinem Kopf Szenarien heraufzubeschwören, die gespickt von Leichtigkeit waren, die in mir herrschende Flut aus Emotionen beinah zum Überlaufen brachten.
„Ich denke, es ist möglich. Es ist eine Idee, aber möglich.“
Ich sah wieder zu ihm hoch. Er begann erneut, sich langsam mit der linken Hand über den Mund zu fahren. Sein Blick hing irgendwo in der Ferne, schien nichts und doch alles zu fokussieren, was sich außerhalb dieses Hauses abspielte.
Er war am Denken.
Tia Bibra
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